Blutmale
Frau«, sagte Jane. »Vielleicht hat er sie aus einem ganz bestimmten Grund gefoltert.«
»Ein Verhör?«, meinte Kibbie.
»Oder eine Strafe«, sagte Maura und blickte in das Gesicht des Opfers. Sie dachte an die Worte, die an ihre eigene Tür gekritzelt worden waren. Und an Lori-Anns Schlafzimmerwand.
Ich habe gesündigt. Ist das der Lohn?
»Das sind nicht einfach nur wahllose Schnitte«, sagte Jane. »Das sind Kreuze. Religiöse Symbole.«
»Er hat sie auch an die Wände gemalt«, sagte Kibbie.
Maura sah zu ihm auf. »War da noch mehr an der Wand? Noch weitere Symbole?«
»O ja. Jede Menge seltsames Zeug. Ich sag's Ihnen, mir hat's die Nackenhaare aufgestellt, als ich da reingegangen bin. Joe Jurevich wird es Ihnen zeigen, wenn Sie morgen zum Haus raus fahren.« Er blickte auf die Leiche hinunter. »Mehr gibt es hier eigentlich nicht zu sehen. Aber das reicht ja wohl, um Ihnen zu zeigen, dass wir es hier mit einem ganz schön kranken Zeitgenossen zu tun haben.«
Maura schloss den Leichensack, zog den Reißverschluss über den eingesunkenen Augen, den getrübten Hornhäuten der Toten zu. Sie würde diese Obduktion nicht durchführen, aber sie brauchte kein Skalpell und keine Sonde, um zu wissen, wie dieses Opfer gestorben war; sie hatte die Antwort ge rade gesehen, eingeritzt in die Haut der Frau.
Sie rollten die Bahre zurück in den Kühlraum und streiften ihre Handschuhe ab. Während er am Waschbecken stand und sich die Hände wusch, sagte Kibbie: »Vor zehn Jahren, als ich nach Chenango County kam, dachte ich, ich bin im Para dies gelandet. Saubere Luft, idyllische Hügellandschaft. Leute, die einem auf der Straße zuwinken und einen mit Kuchen vollstopfen, wenn man Hausbesuche macht.« Er seufzte und drehte den Hahn zu. »Aber man kann dem nicht entkommen, nicht wahr? Ob in der Großstadt oder auf dem Land, überall gibt es die Männer, die ihre Frauen erschießen, die Jugendlichen, die Läden überfallen. Aber dass ich mal so was Perver ses zu Gesicht bekommen würde, hätte ich nie gedacht.« Er riss ein Papierhandtuch vom Spender und trocknete sich die Hände. »Ganz bestimmt nicht in einem Kaff wie Purity. Sie werden sehen, was ich meine, wenn Sie dort sind.«
»Wie weit ist es denn?«
»Von hier noch anderthalb Stunden, vielleicht auch zwei. Kommt drauf an, ob Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen wollen, in dem Sie mit Vollgas über die Nebenstrecken rasen.«
»Dann sollten wir besser mal aufbrechen«, meinte Jane, »wenn wir dort noch ein Motel finden wollen.«
»Ein Motel?« Kibbie lachte. »An Ihrer Stelle würde ich lieber gleich in Norwich übernachten. In Purity werden Sie nicht viel finden.«
»Ist es wirklich so klein?«
Er warf das Papierhandtuch in den Abfalleimer. »Ja, es ist wirklich so klein.«
27
Die Wände des Motels waren papierdünn. Maura lag im Bett und hörte Jane im Zimmer nebenan telefonieren. Wie schön muss es sein , dachte sie, seinen Mann anrufen und mit ihm zusammen scherzen und lachen zu können. Ihn in aller Öf fentlichkeit küssen und umarmen zu können, ohne sich zu erst verstohlen umschauen zu müssen, ob nicht irgendwel che Bekannte in der Nähe sind, die vielleicht daran Anstoß nehmen könnten. Ihr eigener Anruf bei Daniel hatte sich auf ein paar geflüsterte Worte beschränkt. Im Hintergrund hatte sie andere Stimmen gehört. Er war nicht allein gewesen - deshalb hatte er so reserviert geklungen. Würde es immer so sein? Dass ihr Privatleben von ihrem öffentlichen Leben strikt getrennt war, dass es keine Überschneidungen geben konnte? Das war der eigentliche, der wahre Lohn der Sünde. Nicht Höllenfeuer und Verdammnis, sondern Kummer und Leid.
Nebenan beendete Jane ihr Gespräch. Einen Augenblick spä ter hörte Maura, wie der Fernseher eingeschaltet wurde, und dann das Geräusch der Dusche. Nur eine dünne Wand trennte sie, doch was wirklich zwischen ihnen stand, war weit massiver als Holz und Gips. Seit Binghamton hatten sie kaum ein Wort gesprochen, und jetzt genügte schon das Geräusch von Janes Fernseher, um Mauras Verärgerung auf die Spitze zu treiben. Sie zog sich das Kissen über den Kopf, um es nicht mehr hören zu müssen, doch die Einflüsterungen des Zweifels in ihrem Kopf konnte sie nicht zum Verstummen bringen. Auch als es in Janes Zimmer endlich still wurde, lag Maura noch wach und zählte die Minuten, dann die Stunden.
Es war noch nicht sieben Uhr am nächsten Morgen, als sie schließlich aus dem Bett stieg, erschöpft von der
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