Blutmale
den Rachenraum zu werfen. Der Hals war lang und schlank, und schon beim ersten Versuch fand Maura mühelos die Stimmbänder, die wie zwei blassrosa Riemen die Luftröhre flankierten. Und dazwischen klemmte ein glitzernder Gegenstand.
»Zange«, sagte sie und streckte die Hand aus. Yoshima legte ihr das Instrument in die Handfläche.
»Siehst du es?«, fragte Jane.
»Ja.«
Maura bekam das Objekt zu fassen und zog es vorsichtig aus dem Rachen. Klappernd fiel es in die Schüssel aus Edelstahl.
»Ist es wirklich das, wonach es aussieht?«, fragte Jane.
Maura drehte den Gegenstand um, der im hellen Schein der Lampen wie eine Perle glitzerte.
Eine Muschel.
18
Der Nachmittagshimmel hatte sich zu einem düsteren Grau verdunkelt, als Jane auf den Campus der Harvard University fuhr und ihren Wagen hinter der Conant Hall abstellte. Das Gelände war fast menschenleer, und die alten Backstein gebäude wirkten verlassen. Feiner Schneestaub wirbelte im eisigen Wind über den Asphalt, als sie ausstieg, und ihr war bewusst, dass es stockdunkel sein würde, wenn sie hier fertig wäre.
Eve Kassowitz war auch Polizistin. Und doch hat sie den Tod nicht kommen sehen.
Jane knöpfte ihren Mantelkragen zu und schlug den Weg zum Universitätsmuseum ein. In wenigen Tagen würden die Studenten aus den Weihnachtsferien zurückkehren und den Campus mit neuem Leben füllen. Doch an diesem kalten Nachmittag war weit und breit kein Mensch zu sehen, als Jane auf den Seiteneingang des Museums zustapfte, die Augen im schneidenden Wind zusammengekniffen. Sie fand die Tür verschlossen - kein Wunder, es war schließlich Sonntagnachmittag. So ging sie um das Gebäude herum zum Vordereingang, zu dem ein geräumter, von schmutzigen Schneewäl len gesäumter Weg führte. Vor dem Oxford-Street-Eingang blieb sie stehen und blickte zu dem gewaltigen Backsteinbau auf. Über den Türen stand zu lesen: MUSEUM FÜR VERGLEI CHENDE ZOOLOGIE .
Sie stieg die Granitstufen hinauf, betrat das Gebäude und tauchte in eine vergangene Epoche ein. Holzdielen knarr ten unter ihren Sohlen. Sie roch den Staub von Jahrzehnten, spürte die trockene Hitze alter Radiatoren und erblickte Reihen über Reihen von Schaukästen aus Holz und Glas.
Aber keine Menschen. Die Eingangshalle war verlassen.
Sie drang tiefer in das Gebäude ein, ging vorbei an Vitrinen mit Exponaten und blieb kurz stehen, um eine Sammlung auf Nadeln gespießter Insekten anzustarren. Sie sah monströse schwarze Käfer mit Zangen, die aussahen, als könnten sie jederzeit schmerzhaft zukneifen, und geflügelte Schaben mit schillernden Panzern. Schaudernd setzte sie ihren Weg fort, vor bei an Schmetterlingen mit Flügeln so bunt wie Edelsteine, einer Vitrine mit Vogeleiern, aus denen nie Junge schlüp fen würden, und ausgestopften Finken, die nie wieder singen würden.
Ein knarrender Schritt verriet ihr, dass sie doch nicht ganz allein war.
Sie drehte sich um und spähte durch den schmalen Gang zwischen zwei hohen Schränken. Im winterfahlen Licht, das hinter ihm durch die Fenster drang, war der Mann nur als gebeugte, gesichtslose Silhouette zu erkennen, die auf sie zuschlurfte. Erst als er näher kam und ganz aus seinem staubigen Versteck hervortrat, sah sie das von kleinen Falten übersäte Gesicht, die Nickelbrille, durch deren dicke Gläser ein verzerrtes blaues Augenpaar sie anstarrte.
»Sie sind nicht zufällig diese Frau von der Polizei, oder?«, fragte er.
»Dr. von Schiller? Ich bin Detective Rizzoli.«
»Wusste ich doch, dass Sie das sein müssen. Kein Besucher würde sich so spät am Tag hierherverirren. Normalerweise ist die Tür um diese Zeit schon verschlossen; Sie bekommen also sozusagen eine private Führung.« Er blinzelte ihr zu, wie um anzudeuten, dass diese besondere Ehre ihr kleines Geheimnis bleiben sollte. Eine seltene Chance, sich an toten Käfern und ausgestopften Vögeln sattzusehen, ohne von drängelnden Besuchermassen gestört zu werden. »Und, haben Sie sie mitgebracht?«, fragte er.
»Ja, ich habe sie gleich hier.« Sie zog den Beweismittelbeutel aus der Manteltasche, und seine Augen leuchteten, als er den Inhalt zu sehen bekam, der durch die transparente Plastik-hülle schimmerte.
»Na, dann kommen Sie mal mit! Wir gehen am besten nach oben in mein Büro, da kann ich sie mir unter der Lupe genauer anschauen. Meine Augen sind nicht mehr die besten. Ich hasse das Neonlicht da oben, aber für so was brauche ich es nun mal leider.«
Sie folgte ihm zum Treppenhaus,
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