Blutmale
kaum größer als eine Besenkammer. Mit einem Schreibtisch und zwei Stühlen war es so gut wie ausgefüllt. Er drückte auf den Lichtschalter und kniff die Augen zusammen, als das grelle Neonlicht aufflackerte.
»Na, dann wollen wir uns das gute Stück mal anschauen«, sagte er und griff begierig nach dem verschließbaren Plastikbeutel, den Jane ihm hinhielt. »Sie sagten, sie wurde am Tatort eines Verbrechens gefunden?«
Sie zögerte, um dann die Frage mit einem schlichten »Ja« zu beantworten. Was sie nicht sagte, war: Sie steckte im Ra chen einer toten Frau .
»Wieso glauben Sie, dass sie von Bedeutung ist?«
»Ich hoffe, dass Sie mir das sagen können.«
»Darf ich sie anfassen?«
»Wenn es unbedingt sein muss.«
Er öffnete den Beutel und fischte die Muschel heraus. »O ja«, murmelte er, während er sich hinter seinen Schreibtisch zwängte und auf einem knarrenden Stuhl Platz nahm.
Er schaltete eine Schwanenhalslampe ein und nahm eine Lupe und ein Lineal aus der Schublade. »Ja, es ist so, wie ich gedacht habe. Ungefähr - na, sagen wir, einundzwanzig Millimeter lang. Kein besonders schönes Exemplar. Die Zeichnung ist nicht sehr regelmäßig, und hier ist sie ein wenig angestoßen, sehen Sie? Könnte eine recht alte Muschel sein, die lange in der Kiste eines Hobbysammlers herumgekullert ist.« Er blickte auf, und hinter den Brillengläsern wirkten seine blauen Augen wässrig. » Pisania maculosa .«
»Ist das der Name?«
»Ja.«
»Sind Sie sicher?«
Er knallte die Lupe heftig auf den Tisch und stand auf. »Sie vertrauen mir nicht?«, zischte er. »Na, dann kommen Sie mal mit.«
»Ich sage ja gar nicht, dass ich Ihnen nicht vertraue …«
»Natürlich sagen Sie das.« Von Schiller trippelte in ei nem Tempo, das sie ihm gar nicht zugetraut hätte, aus seinem Büro. Verärgert und getrieben von dem Bedürfnis, sich zu rechtfertigen, eilte er durch die Korridore und führte Jane tief hinein in ein düsteres Labyrinth von Schaukästen, vor bei an zahllosen blind starrenden Augen, bis in den hintersten Winkel des Gebäudes. Dies war offensichtlich eine der weniger gut besuchten Abteilungen des Museums. Die maschinegeschriebenen Etiketten waren vom Alter vergilbt, die Vitrinen mit einer Staubschicht überzogen. Von Schiller schob sich durch einen schmalen Korridor zwischen zwei Schränken, zog eine Schublade auf und nahm einen Schaukasten heraus.
»Hier«, sagte er und öffnete den Kasten. Er nahm eine Handvoll Muscheln heraus und legte sie eine nach der anderen auf die Glasplatte einer Vitrine. » Pisania maculosa . Und das ist noch eine und das auch. Und das da ist Ihre. « Er warf ihr einen Blick zu, in dem die ganze Entrüstung eines beleidigten Akademikers lag. »Nun?«
Jane musterte die Parade von Muscheln, alle mit den gleichen elegant geschwungenen Formen, der gleichen spiralförmigen Zeichnung. »Sie sehen alle gleich aus.«
»Natürlich sehen sie gleich aus! Es ist ja auch alles dieselbe Art! Ich weiß, wovon ich rede. Das ist schließlich mein Fachgebiet, Detective.«
Und was für ein überaus nützliches Fachgebiet , dachte sie, während sie ihr Notizbuch zückte. »Wie heißt die Art noch mal?«
»Geben Sie mal her.« Er riss ihr das Notizbuch aus der Hand, und sie sah zu, wie er mit grimmiger Miene den Namen daraufkritzelte. Nicht sehr freundlich, dieser alte Herr. Kein Wunder, dass sie ihn in einer Besenkammer verstecken.
Er gab ihr das Notizbuch zurück. »Da. So schreibt man das richtig.«
»Und was heißt das nun?«
»Es ist der Name.«
»Nein, ich meine, was ist die Bedeutung dieser speziellen Muschelart?«
»Muss sie denn etwas bedeuten? Sie sind Homo sapiens sapiens , das da ist Pisania maculosa . So ist es nun mal.«
»Ist sie denn selten, diese Muschel?«
»Ganz und gar nicht. Sie können sie problemlos über das Internet kaufen, bei einer Reihe von Händlern.«
Damit war die Idee, dem Täter über die Muschel auf die Spur zu kommen, so gut wie gestorben. Seufzend steckte sie ihr Notizbuch wieder ein.
»Sie ist im Mittelmeer sehr verbreitet«, sagte er.
Sie horchte auf. »Im Mittelmeer?«
»Und um die Azoren.«
»Entschuldigen Sie - ich bin mir nicht so sicher, dass ich weiß, wo die Azoren genau liegen.«
Er verzog das Gesicht und musterte sie ungläubig. Dann winkte er sie zu einem der Schaukästen, in dem Dutzende von Muscheln zu sehen waren, und dazu eine verblichene Karte des Mittelmeers. »Da«, sagte er und zeigte mit dem Finger darauf. »Es sind diese
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