Blutmond der Templer
es auch getan, so gut kannte der Abbé ihn nicht, aber er wollte diesen Menschen lebend, auch wenn dieser vorgehabt hatte, ihn zu ermorden.
»Laß ihn, Hector, laß ihn. Er hat genug! Er wird sich hüten, uns noch einmal anzugreifen!«
Das silberne Skelett folgte den Worten des Abbés und ließ den Mann los, der zu schreien aufgehört hatte, nur mehr leise wimmerte und zusammensackte.
Als er sich aufstützen wollte, knickte sein rechter Arm ein. Flach fiel er auf den Steinboden, das Messer lag irgendwo, unerreichbar für ihn. Von der Treppe her klangen hastige Schritte auf. Eine Gestalt erschien knapp hinter der ersten Wendel und überwand die letzten Stufen mit einem gewalligen Sprung.
Es war Suko, der mit gezogener Waffe in der Halle stand und die Mündung im Halbkreis bewegte.
»Abbé!« rief er. »Was ist geschehen?«
»Nichts weiter, Suko. Ein Killer hat uns besucht und wollte mich ermorden!«
»Toll.« Suko ging auf den Mann zu, der sich hingesetzt hatte. Er starrte Suko aus brennenden Augen an. In seinem Gesicht zeichnete sich der Schmerz ab.
Suko hob das Messer auf. »Damit wolltest du killen?« fragte er. Dragut spie aus.
Der Inspektor war ähnliche Reaktionen gewöhnt. Er schüttelte nur den Kopf. »Du bist ein Mörder!« erklärte er dann. »Ein verfluchter, widerlicher Mörder. Ich war bei Salazar. Er hat mir und meinem Kollegen einiges von dem berichtet, was hier vorgegangen ist. Sie sind tot — alle, und du hast dich daran beteiligt.«
»Nein, ich…«
»Wer hat denn den Mann getötet, der uns die Tür öffnete? Das warst du doch — oder?«
»Ja, aber…«
»Also hast du den ersten Mord gestanden. Du wolltest den Abbé ebenfalls umbringen und zum Schluß Salazar. War es nicht so?«
»Nein, ich…«
»Sag die Wahrheit!«
Dragut war fertig. Er nickte. Dann flüsterte er: »Aber ich mußte es doch tun. Ich mußte ihren Auftrag einfach erfüllen, verstehst du das nicht, verdammt?«
»Nein, beim Mord hört mein Verständnis auf. Weshalb mußtest du einen Auftrag erfüllen? Und für wen?«
Dragut hob den Kopf. »Das alte Volk, der Blutmond. Die längst vergangenen Zeiten werden wieder anbrechen. Sie sind zurückgekehrt durch die Magie des Mondes…«
»Du bist ihr Vasall?«
»Sie haben mich geweiht!«
»Auch das noch«, sagte Suko. »Geweiht nennst du so etwas. Du solltest dich schämen.«
»Der Blutmond braucht Opfer«, sagte Dragut leise. »Wenn das alte Volk erscheint und der Mond leuchtet, muß das Blut fließen. So steht es in den alten Schriften.«
»Hast du sie gelesen?«
»Nein, das nicht.«
»Aber es ist wahr!« Dies hatte nicht Dragut gesagt, sondern Salazar. Zusammen mit mir hatte er die lange Treppe hinter sich gelassen. Einige Fetzen der Unterhaltung hatten wir mitbekommen, ohne aktiv in den Dialog einzugreifen.
Jetzt war die Zeit reif.
Ich stand einen halben Schritt hinter Salazar, der sich überrascht zeigte, als sein Blick auf das hochgewachsene, silberne Skelett fiel. »Wer… wer ist das?«
»Hector de Valois!« erklärte ich.
Der Greis nickte, schaute nach rechts und atmete röchelnd ein, bevor er seine mageren Arme ausstreckte und auf den Abbé zuging. »Bloch« sagte er flüsternd. »Bloch, mein Freund. Du bist gekommen. Ich sehe dich, aber du kannst mich nicht sehen.«
»Nein, Bruder Salazar! Das Schicksal hat es nicht gut mit mir gemeint. Ich bin blind geworden. Alle ärztliche Kunst hat mir nicht geholfen. Ich habe mein Augenlicht nicht zurückbekommen. Doch ich bekam etwas anderes. Ein anderer Sinn löste den des Sehens ab. Ich kann manchmal Dinge spüren, die anderen verborgen bleiben. So gleichen sich gewisse Dinge immer Wiederaus. Die Natur ist gerecht!«
Salazar umarmte den Abbé. Erst jetzt vertraute ich dem Malteser hundertprozentig. So schauspielern konnte einfach niemand. Die beiden Männer sprachen so leise miteinander, daß ich ihre Worte nicht verstehen konnte. Es war eine Begrüßung unter Freunden. Salazar drückte sich nach einer Weile wieder zurück. Er schaute auf den sitzenden Mörder. »Du hast von den alten Schriften gesprochen. Also mußt du sie kennen.«
»Ja.«
»Wo liegen sie?«
»In der Totenhöhle, der ältesten, der verborgenen. In Harn Egan. Kaum jemand kennt sie, aber es gibt sie, das weiß ich genau, denn ich war dort.«
»Da hast du die Schriften entdeckt?«
Über seine Lippen zuckte ein Lächeln. »Wie kann das alte Volk Schriften hinterlassen haben? Nein, es waren Worte oder in Steinplatten eingehämmerte
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