Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
muss, was es tun soll. Irgendwann habe ich keinen anderen Ausweg mehr gesehen als zuzustimmen. Pro forma. Ich habe mich in mein Auto gesetzt, »Bis gleich« gerufen und bin zum Schweizerhof gefahren. Mein Handy habe ich ausgeschaltet und den Nachtportier angewiesen, auf gar keinen Fall Telefonate durchzustellen. Es hat funktioniert. Und das Erstaunliche ist, dass Jochen offensichtlich nicht eingeschnappt ist. Eher im Gegenteil. Es scheint ihm imponiert zu haben. So sind Männer, denke ich, sie wollen gequält werden.
Gleich nach dem Frühstück setze ich mich in meinen Porsche und fahre zu dem SM-Laden. Ich parke den Wagen in einer Seitenstraße und gehe das restliche Stück zu Fuß. Minutenlang stehe ich vor dem Schaufenster und betrachte die Modepuppen, die mit schwarzen Latexkleidchen, Lederkorsetts oder Riemenbodys bekleidet sind und deren blasse Gesichter, mit den kajalumrundeten Augen und den bläulich geschminkten Lippen, ein bisschen an Zombies erinnern. Es ist eindeutig, was hier verkauft wird und wie die Zielgruppe aussieht. Genauso eindeutig ist, dass ich nicht dazugehöre. Mein Spiegelbild zeigt mir eine typische Anhängerin des von der SM-Szene so verachteten Blümchensex. Jemand, bei dem Liebe nichts mit Demütigung und Schmerz zu tun hat.
Dass man mir meine Unbedarftheit so deutlich ansieht, verunsichert mich. Aber nur kurz. Dann gehe ich tapfer die drei Treppenstufen zu dem Souterrainladen hinunter, der passenderweise Hades heißt.
Und wie in der Unterwelt sieht es im Innern auch aus. Die Wände sind schwarz gestrichen, der kleine Tresen, der rechts hinten in der Ecke steht, ist mit schwarzen Holzpaneelen verkleidet, der Boden mit schwarzem Teppichboden ausgelegt und fast alle Klamotten und Erotikartikel sind schwarz, von wenigen roten Ausnahmen abgesehen. An den Regalen hängen Schilder, auf denen das Warensortiment spezifiziert wird. Da stehen Begriffe wie: Halsbänder , Masken , Knebel , Klammern , Gewichte , Reizstrom , Klinikprodukte , Peitschen , Vibratoren , Dildos , Cockringe , Riemen , Plugs , Kugeln , Harnesse , Spreizstangen , Bodybags , Mumifizierung und vieles mehr. Das Angebot ist überwältigend und in vielerlei Hinsicht irritierend. Allein komme ich hier nicht zurecht.
Als ich eine zierliche Blondine entdecke, die im hinteren Teil des Ladens schwarze Dildos in schwarze Holzkisten sortiert, fasse ich mir ein Herz. »Könnten Sie mir bitte helfen?«
Sie sieht hoch und schaut mich aus großen blassblauen Augen neugierig an.
»Klar«, sagt sie und ermutigt mich mit einem freundlichen Lächeln. Dabei erscheint auf ihrer linken Wange ein kleines Grübchen, das ihr hübsches Gesicht noch reizvoller macht.
»Ich bräuchte ein Outfit für eineSM-Veranstaltung«, sage ich.
»Top oder bottom?«
»Top«, antworte ich sofort. Denn wenn ich mich hier schon als SMlerin verkaufe, dann möchte ich doch bitte diejenige sein, die haut, und nicht diejenige, die verhauen wird.
»Top«, wiederholt sie gedehnt und mustert mich erstaunt. »Novizin?«
Da ich es mit der Lügerei nicht übertreiben will, bejahe ich die Frage.
»An was hatten Sie gedacht? Lack, Leder oder Latex?«
»Äh«, sage ich und mache große Augen.
Sie mustert mich von Kopf bis Fuß. »Was halten Sie von einer Latexhose mit einem Unterbrustkorsett?«
»Unterbrustkorsett?«, frage ich.
»Das lässt die Brust frei.«
»Nein, lieber nicht.«
»Na, dann eben ein Vollbrustkorsett«, antwortet sie, als mir ein Tattoo an ihrem Hals auffällt. Ein roter, sichelförmiger Halbmond, an dessen unterer Spitze ein kleiner roter Tropfen hängt. Die Tätowierung ist nicht größer als ein Zwei-Cent-Stück und sitzt etwa drei Zentimeter unter ihrem rechten Ohr. Sie bemerkt meinen Blick und fasst sich instinktiv an den Hals.
»Das ist ein Blutmond«, erklärt sie. »Man nennt ihn auch ausblutender Mond. Schon bei den alten Römern hatte er eine mystische Bedeutung. Er ist ein Symbol für ...«
»Ja?«
»Für richtig guten Sex«, sagt sie leise, zwinkert mir zu und eilt durch den Verkaufsraum davon. Ich sehe ihr nach, bis sie hinter einem schwarzen Vorhang verschwunden ist, hinter dem ich das Warenlager vermute. Richtig guter Sex, denke ich, hat bei SMlern anscheinend immer etwas mit Blut zu tun.
Ich schlendere an den Regalen entlang. Unter dem Schild Bettwäsche aus Lack bleibe ich stehen und ziehe ein in Klarsichtfolie verpacktes Spannbettlaken aus einem ausnahmsweise mal roten Stapel. Unter der Größenangabe von 100 x 200 cm
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