Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
der Schädeldecke, der zu einem veritablen Kater gepasst hätte. Nur dass ich am Abend zuvor nichts getrunken hatte, abgesehen von dem halben Glas Sekt im Club Marquis und einer läppischen Flasche Bier später bei mir zu Hause. Also würde ich wohl eine Erkältung bekommen oder einen Gehirntumor oder einen Schlaganfall, irgendetwas, was einem Mann von Ende vierzig mit einer blühenden Sinn- und Lebenskrise am Frühstückstisch zustoßen konnte.
Ich nippte an meinem Kaffee und überlegte, ob ich wieder ins Bett gehen sollte. Einfach mal einen Tag nichts tun, mich selbst bemitleiden und die Welt verfluchen. Am Abend mit einem Freund ausgehen und mich über die Frauen im Allgemeinen und einige spezielle Exemplare im Besonderen beklagen. Ja, das klang nach einem vernünftigen Programm. Aber zuvor musste ich noch zwei Dinge erledigen, nämlich Hauptkommissar Stürzenbecher über Kyokos Anschuldigungen informieren und die Rechnung für die Heuskens schreiben. Das Honorar notfalls einzuklagen war keine leere Drohung gewesen. Zu viel Zeit hatte ich mit diesem blöden Fall verbracht und zu viele Nerven zerschlissen, um auf ein angemessenes Schmerzensgeld zu verzichten. Und wozu kannte ich mit Franka eine gute Rechtsanwältin, die mich auch ohne Vorschuss vertreten würde?
Ich stemmte mich aus dem Stuhl hoch und bereitete mich seelisch darauf vor, in mein Büro zu gehen und den Computer anzuwerfen, als es an der Tür klingelte. Ich hasse Besuche am frühen Morgen. Vor elf Uhr vormittags bin ich weder mitteilsam noch freundlich noch gesellschaftsfähig.
Und der Besuch war nicht dazu angetan, meine Stimmung zu heben. Stürzenbecher und seine Assistentin Brünstrup stürmten herein wie ein mobiles Einsatzkommando. Wenigstens ersparten sie mir damit einen Anruf.
»Du bist noch beim Frühstück?«, sagte Stürzenbecher, nachdem er einen Blick in meine Küche geworfen hatte. »Ihr habt's doch gut, ihr Selbstständigen. Liegt bis in die Puppen im Bett und frühstückt, wenn unsereins schon an den Feierabend denkt.«
»Du mich auch«, sagte ich. »Wollt ihr einen Kaffee?«
»Danke. Wir hatten schon reichlich.«
»Aber setzen könnt ihr euch wenigstens.« Ich schlurfte in die Küche zurück, ließ mich auf meinen Stuhl nieder und goss mir demonstrativ noch eine Tasse Kaffee ein. Wenn sie schon keinen wollten, sollten sie mir wenigstens beim Trinken zugucken.
Stürzenbecher setzte sich mir gegenüber, Brünstrup bewegte sich auf mein Büro zu.
»Hat sie einen Durchsuchungsbeschluss?«, fragte ich.
»Brünstrup!«, rief der Hauptkommissar. »Kommen Sie her! Herr Wilsberg möchte nicht, dass Sie sich in seinem Büro umschauen.«
»Danke«, sagte ich, als die Frau mit dem Pferdeschwanz in der Küche erschien. »Setzen Sie sich doch!«
»Ich bleibe lieber stehen«, erwiderte die Kommissarin reserviert.
Ich schaute Stürzenbecher über meine Kaffeetasse hinweg an. »Kommt mir so vor, als sei das hier ein offizieller Besuch.«
»Da liegst du nicht ganz verkehrt«, sagte er. »Ich habe deinen Rat befolgt und bin zu diesem Bauernhof bei Natrup gefahren.«
»Und was ist dabei herausgekommen?«
»Etwas sehr Interessantes.« Er platzierte seine breiten Hände auf dem Küchentisch. »Marie Niehues, die vor einem halben Jahr den Bauern Niehues geheiratet hat, ist die Schwester von Volker Wegener.«
»Tatsächlich?« Deshalb hatte Wegener die Wegbeschreibung in seinen Kalender gezeichnet.
»Ja. Und sie hat mir erzählt, dass ein Paar bei ihr aufgetaucht sei, das sich nach dem Mann erkundigt habe, der bei ihr arbeitet.«
»Ach.«
»Nicht ›Ach‹, Wilsberg. ›Ach‹ ist das falsche Wort. Der Mann warst du. Und widersprich nicht, sonst werde ich sauer.«
»Okay, ich war's«, sagte ich. »Ich hatte diesen anonymen Tipp bekommen, von dem ich dir erzählt habe. Also bin ich hingefahren und habe mich in der Gegend umgesehen. Schließlich wollte ich nicht jeden Quatsch ungefiltert an dich weitergeben. Unter anderem habe ich mit einem Mann auf Marie Niehues' Bauernhof gesprochen. Erst später ist mir eingefallen, dass ich den Mann schon einmal gesehen hatte, nämlich als Getränkelieferant in der Nähe von Wegeners Wohnung.«
Stürzenbecher ließ sich das durch den Kopf gehen. »Und dann bist du nochmal hingefahren?«
»Ja. Aber der Mann war weg. Und Marie Niehues hat mich zu einem Karl Lanfers geschickt, der bei ihr arbeiten würde. Aber Lanfers ist definitiv nicht der Mann, den ich bei meinem ersten Besuch auf dem Bauernhof
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