Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
bevor er sich umdrehte und leise sagte: »Mach keinen Fehler mehr, Wilsberg, nicht den kleinsten. Das Einzige, was zwischen dir und einem großen schwarzen Loch namens Ärger steht, bin ich. Und ich weiß nicht, wie lange ich dich mit meinem breiten Kreuz noch schützen kann.«
»Warum hast du sie überhaupt mitgebracht?«, fragte ich.
»Weil sie mich beim Kriminalrat angeschwärzt hat. Ich bewege mich selber auf dünnem Eis, Wilsberg.«
Ich schloss die Tür hinter ihm, rannte in die Küche und schluckte zwei Kopfschmerztabletten. Der sanfte Druck unter der Schädeldecke hatte sich zu einem heftigen Pochen gesteigert.
Kaum ließ der Schmerz etwas nach, klingelte das Telefon. »Sie irren sich«, sagte eine Männerstimme. »Ich habe das Mädchen nicht umgebracht.«
»Wer sind Sie?«, fragte ich.
»Wegener.«
»Sind Sie wieder beim Stallausmisten?«
Er lachte. »Sie haben Sinn für Humor, Herr Wilsberg.«
»Freut mich. Haben Sie angerufen, weil Sie ein bisschen mit mir plaudern wollen?«
»Ich möchte Ihnen etwas anbieten.«
»Und was?«
»Ich glaube, Leute wie Sie nennen das ›belastendes Material‹.«
»Warum gehen Sie damit nicht zur Polizei?«
»Ich ziehe es vor, im Hintergrund zu bleiben. Bis der Mörder verhaftet ist. Also, sind wir im Geschäft?«
»Okay«, sagte ich. »Was schlagen Sie vor?«
»Wir treffen uns in einer Stunde auf dem Domplatz, vor dem Kardinal-von-Galen-Denkmal.«
»Als was sind Sie denn diesmal verkleidet?«
»Lassen Sie sich überraschen. Und geben Sie mir Ihre Handynummer. Für den Fall, dass etwas dazwischenkommt.«
Ich gab ihm die Nummer, legte auf und trat ans Fenster. Einer meiner Nachbarn, ein pensionierter Zoodirektor, modellierte mit der Gartenschere eine Galerie lustiger Tierfiguren in seine Buchsbaumhecke. War ich dabei, schon wieder einen Fehler zu machen? Ich ging zum Schreibtisch zurück und griff zum Telefon.
Eine Stunde später stand ich vor der drei Meter hohen Bronzestatue von Kardinal von Galen, der seine rechte Hand mahnend in die Luft reckte. An Markttagen war der Domplatz voller Verkaufsstände, doch an diesem Mittag konnte ich ihn gut überblicken. Fahrradfahrer nahmen die Abkürzung über das Kopfsteinpflaster, zwei Nonnen gingen schweigend ihres Weges, eine Reisegruppe folgte dem erhobenen Regenschirm ihres Führers. Wer nicht kam, war Volker Wegener.
Fünf Minuten nach der vereinbarten Zeit klingelte mein Handy.
»Wegener.«
»Wo sind Sie?«, fragte ich.
»Gehen Sie nach rechts, bis Sie vor dem Dom stehen.«
Ich tat ihm den Gefallen.
»Und jetzt gehen Sie um den Dom herum, Richtung Horsteberg, bis Sie auf ein Eisengitter stoßen.«
Nach zehn Metern sah ich das Eisengitter, das eine kleine Nische im Bauwerk versperrte.
»Klettern Sie über das Gitter. Auf der linken Seite, hinter dem Pfeiler, liegt ein Umschlag.« Er beendete die Verbindung.
Ich steckte das Handy in die Tasche, stieg über das Gitter und hob den braunen DIN-A4-Umschlag auf. Er war leicht; abgesehen von mehreren flachen, rechteckigen Gegenständen, die sich wie Fotos anfühlten, schien er nichts zu enthalten. Ich öffnete den Umschlag und kippte den Inhalt auf meine Hand.
»Fassen Sie nichts an!«, befahl Brünstrup hinter mir.
Aber da hatte ich schon genug gesehen. Jochen Averbeck in schicker schwarzer Ledermontur, der eine nackte Frau fesselte. Die Frau war die Verkäuferin aus Dracus SM-Laden. Ziemlich lebendig und offenbar damit einverstanden, was Averbeck mit ihr machte. Im Hintergrund entdeckte ich das Bett, das ich in Wegeners Schlafzimmer gesehen hatte. Auf einem zweiten Foto hing die Frau über dem Bett, in einer ähnlichen Position wie der, in der ich sie vor einigen Tagen gefunden hatte. Allerdings wirkte sie auch auf diesem Foto noch lebendig und unverletzt.
Die Fotos waren grobkörnig und unterbelichtet, wie Standfotos eines Überwachungsvideos. Was dafür sprach, dass die Akteure nichts von ihren Filmrollen wussten. Wahrscheinlich hatte Wegener in seinem Schlafzimmer eine Videokamera versteckt, um Averbeck bei seinen SM-Spielen zu filmen.
Brünstrup streifte zwei Latexhandschuhe über und nahm mir die Fotos und den Umschlag ab.
»Da hast du deine Beweise«, sagte ich zu Stürzenbecher, der neben der Kommissarin stand.
»Was hat Wegener gesagt?«, fragte der Hauptkommissar.
»Er hat mir nur Anweisungen gegeben, wohin ich gehen soll. Ich nehme an, er ist hier irgendwo in der Nähe und beobachtet uns.«
Das hatten sie nun davon, dass ich ihnen
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