Blutmond - Wilsberg trifft Pia Petry - Kriminalroman
hast.«
»Und wo soll ich schlafen?«, frage ich misstrauisch.
»Im Hotel. Da bringe ich dich nachher hin.«
Der Vorschlag ist nicht schlecht. Da ich weder gefrühstückt noch zu Mittag gegessen habe, hängt mein Magen jetzt schon auf halbmast. Trotzdem beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Schließlich ist der Mann an meiner Seite bekennender Sadist.
»Du hast mich nicht zufällig als Hauptgang eingeplant?«, frage ich unsicher.
Dracu lacht laut auf. »Als blutige Jungfrau.«
»Mit Jungfräulichkeit kann ich leider nicht mehr dienen.«
»Na, dann hast du auch nichts zu befürchten«, antwortet er und zwinkert mir zu.
»Ich glaube, ich möchte doch lieber ins Hotel.«
»Kein Problem.«
Er ist nicht sauer. Das beruhigt mich.
»Ich finde es nur schade«, sagt er, »dass du mir so wenig vertraust. Dass es mir nicht gelungen ist, dir ein anderes Bild von mir zu vermitteln.«
An der nächsten roten Ampel bremst er den Wagen gewohnt abrupt ab und setzt den Blinker.
»Wie würde es von hier aus zu dir nach Hause gehen?«, frage ich.
»Geradeaus.«
»Dann fahr geradeaus!«
»Tapferes Mädchen.« Er strahlt mich an. »Ich setze dich bei mir ab und dann hole ich deine Sachen.«
»Das kannst du dir sparen. Jochen lässt dich garantiert nicht rein.«
»Wir werden sehen«, sagt er und klingt ausgesprochen zuversichtlich.
Meine Angst, Dracu könne mir eine zweite Einführungslektion in Sachen Masochismus erteilen wollen, verfliegt in dem Moment, in dem ich seine Wohnung betrete. Sie ist schöner, als ich es erwartet habe. Achtzig Quadratmeter groß, in einem kleinen Hinterhaus gelegen, mit lichtdurchfluteten, hohen Räumen. Nirgends hängen Ketten oder sind Metallringe an den Wänden befestigt, es gibt kein Andreaskreuz und es liegen auch keine Peitschen oder Handschellen herum. Die einzigen Indizien für Dracus Hang zu bizarren Sexspielen sind drei alte, dezent gerahmte Kinoplakate im Wohnzimmer von Filmen, die sich in SM-Kreisen großer Beliebtheit erfreuen: 9 ½ Wochen mit Kim Basinger und Mickey Rourke und Der letzte Tango in Paris mit Marlon Brando und Maria Schneider. Nicht ganz passend finde ich das dritte Plakat, das Diana Rigg und Patrick Macnee als Emma Peel und John Steed in der Agentenserie Mit Schirm, Charme und Melone zeigt. Was haben denn die beiden mit Sadomasochismus zu tun?
»Ich fahre jetzt«, ruft Dracu aus dem Flur. »In einer halben Stunde bin ich zurück.«
»Soll ich nicht mitkommen?«
»Lass mal. Es regnet. Und ich denke, es ist besser, wenn ich das allein mit Jochen regele.«
Die Tür fällt ins Schloss. Und ich bin froh, dass ich hier bleiben kann. Ich hätte keine Lust, mich schon wieder mit Jochen herumzustreiten. Während das Wasser kübelweise vom Himmel fällt und gegen die Fensterscheiben prasselt, schlendere ich durch die Räume, ein Glas Portwein in der Hand. Ich sehe kurz ins Badezimmer, das sehr sauber und aufgeräumt aussieht. Was ich erstaunlich finde, angesichts der Tatsache, dass es von zwei Männern benutzt wird. Danach werfe ich einen Blick in die Küche, die ganz in Mintgrün gehalten, klein und für einen passionierten Hobbykoch relativ unspektakulär ist. Dracus Arbeitszimmer ist da schon interessanter. Der Schreibtisch steht direkt vor dem Bücherregal, davor befindet sich eine Matratze, auf der sich Bettdecke, Kopfkissen und ein Haufen Klamotten zu einem gigantischen Berg türmen. Schuhe, Socken, Bücher und Zeitschriften liegen im wilden Durcheinander über den ganzen Boden verstreut. Rechts neben dem Fenster steht ein Koffer, auf dem sich Pullover und T-Shirts stapeln. Ich brauche eine Viertelstunde, um alles gründlich zu durchsuchen. Doch ich kann nichts entdecken, was Auskunft über den Bewohner geben könnte. Das Einzige, was ich herausfinde, ist, dass er eine Vorliebe für schwarze Kleidung, speziell für schwarze Lederhosen hat und die Größe XXL trägt. Und eins ist klar, so ordentlich wie Dracu ist er nicht.
Mit dem Schlafzimmer im ersten Stock, einem Traum in Weiß, mit riesigem Bett, weißem Überwurf, weißen Kissen, weißer Kommode und weißem Teppichboden, beende ich meinen Rundgang. Anschließend beschäftige ich mich mit Dracus Büchern. Er hat tatsächlich jede Menge davon und bei der Zusammenstellung seiner umfangreichen Bibliothek einen exzellenten Geschmack bewiesen.
Ich nehme mir Schiffsmeldungen von E. Annie Proulx aus dem Regal und mache es mir auf dem Sofa bequem. Das Buch ist so hinreißend geschrieben, dass ich völlig die Zeit
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