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Blutmusik

Blutmusik

Titel: Blutmusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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ein Jahr
ins Internat zu gehen.«
    »Aber sie gehörte mir nicht. Ich hatte bloß teil
an ihr. Selbst wenn eine Frau dich nur zum Liebhaber hat, hast du
teil an ihr. Und sie an dir. Treue ist eine großartige Sache,
Mike, das Fundament einer gute Ehe, aber schließlich kommt es
darauf an, was beide Teile darüber hinaus einbringen. Was du
tust, wie gut du es tust, wie beharrlich du bist.«
    »Ja, Vater.«
    »Sag mal…« Seines Vaters Augen weiteten sich.
    »Was?« fragte Bernard und griff wieder die welke
Hand.
    »Danach blieben wir noch dreißig Jahre
zusammen.«
    »Ich wußte nie etwas davon.«
    »War auch nicht nötig. Ich war derjenige, der wissen
mußte, der sich abfinden mußte. Das ist aber nicht alles,
was mir durch den Sinn geht. Mike, erinnerst du dich an die
Hütte? Auf dem Dachboden, unter der Schlafstelle, liegt ein
Stoß von Papieren.«
    Die Hütte in Maine war vor zehn Jahren verkauft worden.
    »Ich hatte etwas geschrieben«, fuhr sein Vater fort,
nachdem er mühsam und unter Schmerzen geschluckt hatte. Sein
Gesicht knitterte in tausend Runzeln, und er machte eine bittere
Grimasse. »Über meine Zeit als Arzt.«
    Bernard wußte, wo die Papiere waren. Er hatte sie geborgen
und während seiner Zeit als Internist gelesen. Sie befanden sich
jetzt in einem Aktenordner in seinem Büro in Atlanta.
    »Ich habe sie, Vater.«
    »Gut. Hast du sie gelesen?«
    »Ja.« Und sie waren mir sehr wichtig, Vater. Sie halfen
mir bei der Entscheidung, was ich in der Neurologie tun wollte, bei
der Wahl der Richtung, die ich einzuschlagen hatte… Sag es ihm,
sag es ihm!
    »Gut. Ich habe es immer gewußt, Mike.«
    »Was?«
    »Wie sehr du uns liebtest. Du bist bloß nicht der
demonstrative Typ, nicht wahr?«
    »Nie gewesen.«
    »Ich liebe dich. Liebte Mutter.«
    »Sie wußte es. Sie war nicht unglücklich, als sie
starb. Gut.« Wieder machte er das Gesicht. »Ich muß
jetzt schlafen. Bist du sicher, daß du keinen guten jungen und
neuen Körper für mich finden kannst?«
    Bernard nickte. Sag es ihm.
    »Die Papiere waren sehr wichtig für mich, Vater.
Papa.«
    Er hatte ihn seit seinem vierzehnten Lebensjahr nicht mehr
»Papa« genannt. Aber der alte Mann hörte nicht. Er war
eingeschlafen: Bernard nahm Mantel und Koffer und ging, schaute in
die Station und fragte die Schwester aus Gewohnheit, wann die
nächste Verabreichung sein würde.
    Sein Vater starb am nächsten Morgen um drei Uhr früh, im
Schlaf und allein.
    Und weiter…
    Olivia Ferguson, die gleichen wundervoll glatten achtzehn Jahre
alt wie er, ihr Vorname wie ein Echo ihres Teints, ihr dichtes
dunkles Haar an der Kopfstütze der Corvette, blickte ihn aus
ihren großen grünen Augen an und lächelte. Er
erwiderte den Blick und das Lächeln, und es war der herrlichste
Abend auf der Welt, es war phantastisch; das dritte Mal, daß er
mit einem Mädchen verabredet war. Er war, Wunder über
Wunder, eine Jungfrau – und diesen Abend schien es nichts
auszumachen. Er hatte sie beim Glockenturm des
Universitätscampus von Berkeley angesprochen, als sie bei einem
der bronzenen Zwillingsbären gestanden hatte, und sie hatte ihn
dabei mit echter Sympathie angeschaut.
    »Ich bin verlobt«, hatte sie gesagt. »Das
heißt, es kann nichts daraus werden…«
    Enttäuscht und doch stets bereit, galant zu sein, hatte er
gesagt: »Nun, dann wird es eben bloß ein unterhaltsamer
Abend. Unter Freunden.« Er kannte sie kaum; sie hatte einen der
Kurse belegt, die auch er besuchte. Sie war das schönste
Mädchen von allen, groß und gefaßt, ruhig und
selbstsicher, doch nicht im mindesten eingebildet. Sie hatte
lächelnd eingewilligt.
    Und nun fühlte er die Freiheit, entlassen aus der
Verpflichtung, einen Erfolg zu erringen. Zum ersten Mal fühlte
er sich mit einer Frau auf gleichen Fuß gestellt. Ihr
Verlobter, so erläuterte sie, war bei der Marine, stationiert
auf der Marinewerft in Brooklyn. Ihre Familie wohnte auf Staten
Island, in einem Haus, wo Herman Melville einmal einen Sommer
verbracht hatte.
    Der Wind blies in ihr Haar, ohne es in Unordnung zu bringen –
wunderbares, prachtvolles Haar, das (theoretisch) köstlich
anzufühlen wäre, ein Genuß, es durch die Finger
gleiten zu lassen. Sie hatten sich unterhalten, seit er sie zu Haus
abgeholt hatte, in einer Wohnung, die sie mit zwei Frauen teilte und
die nahe dem alten weißen Hotel Clairemont lag. Sie waren
über die Golden Gate-Brücke gefahren, um in einem kleinen
Fischrestaurant, dem Klamshak, zu essen, und dort hatten

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