Blutmusik
formlose Gestalten, drei Körper, einer in
einem Kleid am Boden, halb gegen die Spüle gelehnt, einer in
Jeans ohne Hemd auf einem Stuhl am Küchentisch, der dritte halb
in der Speisekammer. Kein Durcheinander, keine Unordnung, nur drei
seltsam verformte Körper, die sie nicht gleich erkannte.
Sie blieb ganz ruhig. Ihre erste Empfindung war der Wunsch,
daß sie die Tür nicht gerade jetzt geöffnet
hätte; vielleicht, wenn sie es etwas früher getan
hätte, oder auch später, wäre alles normal gewesen.
Irgendwie wäre es eine andere Tür gewesen – die
Tür zu ihrer Welt –, und das Leben wäre einfach
weitergegangen, lediglich mit dem kleinen Versäumnis, daß
niemand sie geweckt hatte. Nun aber war sie ohne Warnung in diese
unwirkliche Situation geraten, und das war nicht recht, wirklich. Sie
hatte die Tür in genau dem falschen Augenblick geöffnet,
und nun war es zu spät, sie einfach wieder zu
schließen.
Der Körper an der Spüle trug das Kleid ihrer Mutter.
Gesicht, Arme, Beine und Hände waren bedeckt mit
weißlichen Schwielen. Suzy tat zwei kleine Schritte in die
Küche hinein. Ihr Atem ging kurz und stoßweise. Die
Türklinke entglitt ihren Fingern, die Tür klappte zu. Sie
wich einen Schritt zurück, dann trat sie zur Seite, in einem
kleinen unbewußten Tanz des Schreckens und der
Unschlüssigkeit. Sie würde die Polizei rufen müssen,
natürlich. Oder vielleicht einen Krankenwagen. Aber zuerst
mußte sie herausbringen, was geschehen war, und all ihre
Instinkte drängten sie, einfach aus der Küche zu laufen,
aus dem Haus.
Howard, zwanzig Jahre alt, trug im Haus gewöhnlich Jeans ohne
Hemd. Er ging gern mit freiem Oberkörper, um seine
muskulöse Gestalt zur Schau zu stellen. Nun war sein
Oberkörper von rötlichbrauner Farbe, wie der eines
Indianers, und gerippt wie ein altmodisches Waschbrett. Sein Gesicht
war noch kenntlich und wirkte ruhig. Augen und Mund waren
geschlossen, und er atmete noch.
Kenneth – es mußte Kenneth sein, sah mehr wie ein
Klumpen Teig in Kleidern aus als wie ihr ältester Bruder.
Was auch geschehen war, es war völlig unverständlich.
Sie fragte sich, ob es etwas sei, wovon jeder wußte, aber
vergessen hatte, ihr etwas zu sagen.
Nein, das ergab keinen Sinn. Die Menschen waren selten grausam zu
ihr, und ihre Mutter und ihre Brüder niemals. Das Beste war, zur
Tür hinauszulaufen und die Polizei zu rufen, oder sonst jemand;
jemand, der wissen würde, was zu tun sei.
Sie überflog die Liste der Telefonnummern, die über dem
alten schwarzen Telefon im Hausgang an der Wand festgemacht war, dann
versuchte sie den Notruf zu wählen. Immer wieder glitt ihr
Finger aus dem Loch in der Wählscheibe. Tränen standen ihr
in den Augen, als es ihr endlich gelang, die drei Zahlen
hintereinander zu wählen.
Das Telefon läutete mehrere Minuten lang, aber niemand
meldete sich. Endlich kam eine auf Band gesprochene Durchsage:
»Alle Anschlüsse sind belegt. Bitte hängen Sie nicht
ein, sonst verlieren Sie Ihre Priorität.« Das Läuten
ging weiter. Nach fünf Minuten legte sie schluchzend auf und
wählte die Auskunft. Auch dort keine Antwort. Dann dachte sie an
das Gespräch, das sie am Abend zuvor geführt hatten,
über eine Art Ungeziefer in Kalifornien. Die Meldung war im
Radio durchgekommen. Alle waren krank, und man hatte das Militär
zum Katastropheneinsatz befohlen. Erst als ihr dies einfiel, ging
Suzy McKenzie vor die Haustür und stellte sich auf die Stufen
und rief um Hilfe.
Die Straße lag verlassen. Abgestellte Wagen säumten
beide Seiten – unerklärlich, denn zwischen acht Uhr
früh und sechs Uhr abends war Parken verboten, ausgenommen an
Donnerstagen und Freitagen, und heute war Dienstag, und die Polizei
achtete streng auf die Einhaltung der Bestimmungen. Niemand fuhr
herum. Sie konnte niemanden in einem Wagen sitzen oder gehen oder an
einem Fenster sitzen sehen. Sie lief die Straße hinauf, weinte
und rief um Hilfe, zuerst bittend, dann zornig, dann in Angst und
schließlich wieder flehend.
Als sie einen Postboten auf dem Gehsteig am schmiedeeisernen Zaun
eines alten Backsteinhauses liegen sah, hörte sie auf zu
schreien. Er lag auf den Rücken, hatte die Augen geschlossen und
sah genau wie Mutter und Howard aus. Für Suzy waren Postboten
geheiligte Wesen, immer verläßlich. Mit allen zehn Fingern
preßte sie das Entsetzen aus ihrem Gesicht und drückte die
Augen zu, ihre Gedanken zusammen. »Dieses Ungeziefer ist
überallhin gekommen«, sagte sie sich. »Jemand
muß
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