Blutnacht
sagen, damit kann er als bemitleidenswert angesehen werden.«
24
Ich verließ das College, fuhr auf den 134 East und war auf dem Rückweg nach L.A., als mein Mobiltelefon läutete.
Milo sagte: »In den letzten paar Stunden hätte ich dich brauchen können. Trauerarbeit mit Levitchs Mom. Vassily war ein wundervoller Sohn, ein Wunderkind, totales Genie, Mamas Augapfel, wer um alles in der Welt hätte ein Interesse daran, ihm wehzutun. Dann bekam ich einen vorläufigen Bericht meiner Detectives. Das Klinkenputzen in der Umgebung der Bristol Street hat nichts ergeben, und niemandem aus dem Publikum, mit dem sie geredet haben, ist etwas Außergewöhnliches aufgefallen. Das Gleiche gilt für den Sicherheitsmann und die Männer, die die Wagen eingeparkt haben. Wer auch immer Levitch umgebracht hat, hat sich entweder völlig der Umgebung angepasst, oder er hat sich unbemerkt Zutritt verschafft.«
»Du hast gesagt, das Publikum sei älter gewesen. Wäre ein junger Bursche wie Kevin Drummond dann nicht aufgefallen?«
»Vielleicht hat er sich verkleidet. Vielleicht hat er sich in der Dunkelheit in eine der hinteren Reihen gesetzt. Hinzu kommt, wenn du in ein Klavierkonzert gehst, hältst du nicht unbedingt nach verdächtigen Gestalten Ausschau. Es müssen immer noch ein paar Leute aus dem Publikum überprüft werden. Bist du schon im College gewesen?«
»Ja. Kevin Drummond hat ein paar Musikkritiken für die Studentenzeitung geschrieben, zum größten Teil nichts Erhellendes. Aber in seinem letzten Studienjahr – kurz bevor er mit GrooveRat anfing – hat sich sein Stil plötzlich verändert. Von geradliniger Prosa zu dem, was wir in den Artikeln für SeldomScene vorgefunden haben. Vielleicht hat er zu dieser Zeit auch eine psychologische Verwandlung durchgemacht.«
»Er ist schizophren geworden?«
»Nicht, wenn er unser Mann ist. Diese Verbrechen sind für einen Schizophrenen zu gut organisiert. Aber eine Gemütsstörung – Manie – würde zu der überhitzten Prosa und dem Größenwahn passen. So hat Drummonds Fachbereichsmentor sein Verlagsvorhaben charakterisiert. Manie kann eine Lockerung von Grenzen – und Hemmungen – bedeuten. Und periodische Abweichungen vom üblichen Verhalten. Der Mentor beschreibt Kevin als ruhig und ohne Selbstbewusstsein. Er hatte keine Freunde, war sehr ernsthaft, ein mittelmäßiger Student mit hohen Zielen. Nicht gerade gesellig. Was alles die depressive Komponente einer bipolaren Psychose sein könnte. Noch ein Faktor, der zur Manie passt, wäre die Sammelwut, die seine Hausverwalterin beschreibt. Sein Flattern von einem Hobby zum nächsten kann sehr gut einem manischen Durchbruch vorausgegangen sein. Manie tritt nicht oft zusammen mit Gewalttätigkeit auf, aber wenn sie es tut, kann die Gewalttätigkeit ziemlich heftig sein.«
»Also haben wir jetzt eine Diagnose«, sagte er. »Aber keinen Patienten.«
»Versuchsweise Diagnose. Der Mentor sagte auch, Kevin wäre fest davon überzeugt gewesen, dass kommerzieller Erfolg und Qualität nicht miteinander vereinbar seien. Für sich betrachtet, heißt das nicht viel – er bezeichnete es als Wohnheim-Doktrin, und er hat Recht. Aber die meisten College-Studenten überwinden die Wohnheim-Phase und entwickeln Autonomie. Kevin scheint keine großen Schritte in dieser Richtung gemacht zu haben.«
»Entwicklungshemmung … Erfolg ist korrupt, also erstick ihn im Keim. Zwischenzeitlich ist nichts von ihm zu sehen, und es sieht mehr und mehr so aus, als hätte er die Kurve gekratzt. Petra sagt, Stahl überwacht das Apartment rund um die Uhr und hat nichts von ihm zu Gesicht bekommen. Ich schreibe Drummonds Honda zur Fahndung aus, aber ohne dass ich ihn offiziell zum Verdächtigen erkläre, landet sie ganz unten auf der Dringlichkeitsliste.«
»Trotz des fehlenden Wagens ist es möglich, dass Drummond sich in seinem Apartment verkrochen hat«, sagte ich. »Ein Einzelgänger wie er kann mit Dosensuppen und einem Laserdrucker eine ganze Weile durchhalten. Hat Stahl das überprüft?«
»Er hat die Verwalterin klopfen lassen. Keine Antwort, keine Geräusche auf der anderen Seite der Tür. Stahl dachte daran, sie ihren Hauptschlüssel benutzen zu lassen – unter dem Vorwand einer undichten Gasleitung reinzugehen.
Aber dann hat er es sich überlegt, hat Petra angerufen, sie hat mich angerufen, und zusammen haben wir entschieden zu warten. Nur für den Fall, dass die Durchsuchung irgendwas Wichtiges zutage fördert. Kevins Daddy ist Anwalt. Wenn
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