Blutnächte - 2
die nächste Metro in Richtung Stadtmitte. Aber was sollte sie nun mit diesem angebrochenen Tag anfangen? Auf gar keinen Fall wollte sie zurück in ihre Wohnung. Dort wartete lediglich Pascal, der Vampir, der ihr Leben durcheinanderbrachte und ihr komplettes Dasein auf den Kopf stellte. Ja, der sie sogar zu der Annahme verleitete, dass die Welt, in der sie bisher zu leben geglaubt hatte, nur einen Hauch von Wahrheit widerspiegelte. Es gab keinen Menschen, der sich öffentlich zu den Vampiren bekannte. Aber jetzt, in diesem Moment, befand sich ein wahrhaftiger Vampir in ihrer Wohnung. Er lag in ihrem Bett und schlief.
Isabella bemühte sich so inständig um eine logische Erklärung. Doch all ihr Wissen in der Anwendung von Psychologie nützte ihr in diesem Fall rein gar nichts.
An der Börse stieg sie aus der Metro. Sie musste noch ein Stück weit die Straße hinuntergehen, ehe sie den Grand’ Place erreichte. Dort suchte sie sich einen Sitzplatz vor einem Café.
An dem Tisch, der dem ihren direkt gegenüberstand, registrierte sie ein junges Paar, beide ungefähr in ihrem Alter. Sie hielten sich an den Händen und tauschten verliebte Blicke aus. Isabella sah sich selbst in der Frau, und in dem Mann entdeckte sie Züge Pascals. Sein blondes Haar, das lang und seidig in sein markantes Gesicht fiel. Sie konnte es ganz deutlich vor sich sehen. Ein geheimnisvolles Glitzern lag in seinen Augen.
„Mademoiselle?“, wurde sie von einem Kellner angesprochen.
Abwesend bestellte sie einen Café au Lait.
„Möchten Sie ein Croissant dazu? Ich kann Ihnen unser Frühstücks-Angebot empfehlen.“ Der junge Mann hielt Isabella eine Karte vors Gesicht und versperrte ihr so die Sicht auf das verliebte Paar. Sie blickte irritiert auf. Sie hatte kein Wort verstanden.
„Einen Café au Lait“, wiederholte sie.
„Also wünschen Sie kein Croissant dazu?“
Sie verneinte mit einem Kopfschütteln und erntete daraufhin ein fragwürdiges Lächeln. Allerdings kümmerte sie das wenig. Sollte der Mann doch von ihr denken, was er wollte. Mit verschränkten Armen lehnte sie sich in dem Stuhl zurück. Ihr Blick heftete sich automatisch wieder auf das Paar. Die Frau strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr und spitzte die Lippen auf verlockende Weise. Ihr Gegenüber zögerte allerdings noch. Er traute sich offenbar nicht, seiner Herzensdame näher zu kommen.
Isabella seufzte – offenbar so laut, dass es dem Paar nicht entging. Die Frau hielt augenblicklich inne und schenkte ihrer Beobachterin nun ihre volle Aufmerksamkeit. Entschuldigend zuckte Isabella mit den Achseln. Glücklicherweise kehrte in diesem Moment der Kellner zurück, um den Café au Lait zu bringen.
„Oh. Merci. Das ging wirklich sehr schnell.“
Er nickte ihr höflich zu, bevor er sich abwandte. Das Liebespaar hatte ihn an den Tisch gerufen. Sie wollten zahlen. Eigenartigerweise schämte sich Isabella, denn sie glaubte plötzlich, sie hätte die Leute vertrieben. Nur wenige Augenblicke später waren die beiden auf und davon.
Der Kellner richtete den Tisch wieder her. Er schien vollkommen in seine Arbeit vertieft zu sein. Dennoch wurde Isabella das Gefühl nicht los, von ihm beobachtet zu werden. Ganz unauffällig aus dem Augenwinkel.
Sie schüttelte sich.
Ihr war selbst nicht klar, warum sie sich nicht einfach zurücklehnen und entspannen konnte. Der Gedanke an Pascal verfolgte sie. Er ließ sich nicht abschütteln, egal, wie sehr sie sich auch bemühte. Überall sah sie sein Gesicht. Sie glaubte sogar seine Anwesenheit spüren zu können.
Das ist absolut verrückt, redete sie sich ein.
Aber ihre Fantasie spielte ihr einen Streich nach dem anderen. Vermutlich würde das nicht aufhören, ehe sie wieder in ihrer Wohnung wäre und die Konfrontation mit dem Vampir suchte.
Nervös schlossen sich ihre Finger um die Tasse Café. Sie spürte, wie eine angenehme Wärme auf ihre Handflächen überging. Zaghaft nahm sie einen Schluck, während sie sich fragte, ob Vampire jemals Kaffee tranken.
Sofort stellte sie die Tasse wieder ab. So ruckartig, dass der Inhalt über den Rand schwappte. Isabella fuhr von ihrem Sitz hoch. Sie konnte sich unmöglich weiterhin in der Stadt aufhalten, wenn sie nicht ganz bei Sinnen war!
Die Rechnung hatte sie schnell bezahlt. Noch schneller lief sie allerdings davon – als ob sie um ihr Leben rennen würde.
~~~
Schlief er?
War er tot – oder befand er sich zumindest in einem todesähnlichen Zustand?
Obgleich Isabella darüber
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