Blutnebel
Ramsey Clark, Sonderberaterin beim TBI.«
»Hab schon geahnt, wer Sie sind.« Kenner machte keine Anstalten, von seinem Rasenmäher herabzusteigen, doch seine Miene war freundlich. Sein Teint war gerötet, typisch für einen normalerweise hellhäutigen Mann, der zu lange in der Sonne gewesen ist. »Ich kenne die meisten Leute hier in Buffalo Springs. Und natürlich habe ich davon gehört, dass Sie zu dem Team gestoßen sind, das in dem Mordfall ermittelt.«
»Ich bin eigentlich nicht in offizieller Funktion gekommen«, erklärte sie. Und nun, da sie es gestanden hatte, war sie ein klein wenig verlegen. Doch das hier war wichtig für Dev, und wenn sie ehrlich war, dann brannten auch ihr ein paar Fragen über den Polizeibericht von damals unter den Nägeln. »Offen gestanden bin ich gekommen, um mit Ihnen über die letzte Festnahme zu sprechen, die Sie in einem Mordfall vorgenommen haben. Das letzte Mal, als der rote Nebel gesichtet wurde, vor fast dreißig Jahren.«
Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, und Ramsey registrierte, wie die Augen des alten Cops aufblitzten. »Sie meinen Lucas Rollins.«
»Genau.«
Er kratzte sich am Kinn und gab sich keine Mühe, seinen skeptischen Blick zu verbergen. »Ich begreife nicht, was das mit dem armen Mädchen zu tun haben soll, das sie im Teich gefunden haben.«
Ramsey änderte ihre Position, sodass sie die Sonne im Rücken hatte, um den Mann nicht ständig anblinzeln zu müssen. »Wahrscheinlich nichts. Aber es gehört zu meinem Job sicherzustellen, dass wir nicht irgendein Muster übersehen.«
Kenner schnaubte. »Sie meinen die Legende? Mann, das ist doch alles nichts als Unsinn. War nie zu irgendwas anderem nütze, als die Leute aufzuregen und Gerede zu verursachen. Lucas Rollins war nicht ganz bei Sinnen, als er tat, was er tat. Das macht ihn nicht zu einem Teil des lokalen Aberglaubens, sondern es macht die ganze traurige Geschichte einfach nur noch trauriger.«
»Er war nicht ganz bei Sinnen. Wegen des Alkohols, den er in dieser Nacht getrunken haben muss.« Ramsey schob die Hände in die Taschen ihres Jacketts. Es waren die letzten frischen Sachen, die sie noch hatte, wie sie mit einem lautlosen Seufzen konstatierte. Wenn sie hier fertig war, musste sie unbedingt den nächsten Waschsalon ausfindig machen und sich dessen Öffnungszeiten notieren.
»Genau.«
»Waren Sie es gewohnt, ihn so zu sehen? War er ein großer Trinker?«
»Kann ich nicht behaupten.« Der Expolizeichef war nach wie vor höflich, wenn auch nicht besonders entgegenkommend.
»Das habe ich auch gehört. Deshalb gibt mir die Sache immer noch Rätsel auf. Ein Mann, der nicht als Säufer bekannt ist, trinkt urplötzlich so viel, dass er einen Mord begeht und am nächsten Tag nichts mehr davon weiß.« Sie hielt inne, doch Kenner schwieg. »Im Polizeibericht stand nichts darüber, wo Lucas in der Zwischenzeit gewesen ist. Und mit wem er zusammen gewesen sein könnte.«
Um Kenners Mund zuckte es. »Und als Sie das gesehen haben, haben Sie sich gedacht, dass wir hier im Süden ganz schön tranig sind, Dorftrottel eben, die nicht wissen, wie man richtige Polizeiarbeit macht.«
Sie wandte den Blick nicht von ihm ab. »Oder dass Sie einen Grund dafür hatten, Ihre Erkenntnisse nicht in den Polizeibericht aufzunehmen. Jetzt, wo ich Sie kennengelernt habe, würde ich auf Letzteres tippen.«
In seinen Augen flackerte etwas, doch seine Miene blieb ausdruckslos. Das reichte, um ihre Meinung zu bekräftigen. Der Mann hatte genau gewusst, wie er seine Arbeit tun musste.
Was bedeutete, dass er seit über dreißig Jahren ein Geheimnis hütete.
Als er wieder sprach, war seine Stimme so leise, dass sie über das Geräusch des im Leerlauf tuckernden Rasenmähers kaum zu verstehen war. »Ich habe mich ein bisschen über Sie erkundigt. Mir reicht es zu wissen, dass Sie ursprünglich beim TBI angefangen haben. Vermutlich sind Sie an Großstadtverbrechen und Großstadttempo gewöhnt. Damit will ich nicht sagen, dass die eine Form von Erfahrung besser ist als die andere, aber es sind zwei Paar Stiefel. Wissen Sie, was ich meine?«
Ramsey nickte und lehnte sich ein bisschen vor, um kein Wort zu überhören.
»Ein weiterer Unterschied zwischen Ihrer Art von Arbeit und der Arbeit eines Kleinstadtpolizisten ist das Lokale. Was auch immer passiert ist, wo auch immer meine Ermittlungen mich hingeführt haben, ich musste hinterher immer noch hier leben. Ich hatte immer noch dieselben Nachbarn und ging in
Weitere Kostenlose Bücher