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Blutorangen

Blutorangen

Titel: Blutorangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noreen Ayres
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mich immer depressiv machte, sogar mehr als ein bewölkter Tag. Die Anthropologin setzte sich eine Sonnenbrille mit Spiegelgläsern auf, die eher »Sonnenbaden« als »Unfallort« versprach. Sie hatte an ihrer Nase etwas Hautkrebs entfernen lassen müssen, sonst trüge sie den Hut nicht. Sie rekonstruiert für uns Köpfe und Knochen. Sie heißt Jeri Landsforth, außerdem hat sie promoviert und ist eine Seele von Mensch. Ich dachte immer, daß, wenn ich nicht mehr für Joe arbeiten wollte, dann würde ich vielleicht kündigen und sehen, ob ich bei ihr arbeiten könnte. Simmons stand neben mir, als ich Jeris hohle Stimme hörte; »Ooh, nein.«
    Wir stiegen über den Bauschutt und gingen zu ihr, ihre Arme taumelten schlaff an ihren Seiten und ihre Augen starrten auf eine pinkfarbene Wolke von irgend etwas. Als wir näher kamen, sahen wir, daß es ein kleines braunes Baby in einem pinkfarbenen Strampelanzug war — es lag einfach da mit geschlossenen Augen und den Fäustchen an der kleinen Stupsnase. Es hatte keinen Schaden erlitten und lag da, als ob der Storch es fallengelassen hätte. Aber es atmete nicht.
    Ich hörte, wie ich selbst »Oh, nein« sagte, und Simmons ein leises »Scheiße« hinter seiner Maske sprach. Er ging mit dem Finger hinter seine Brille und an seinen Nasenrücken.
    Jeri bückte sich, nahm das kleine Ding mit beiden Händen hoch, drehte sich um und ging zu dem Wagen; dabei wehte ein Windstoß ihre Hutkrempe hoch, so daß ihre Stirn der Sonne ausgesetzt war.
    Simmons und ich gingen zu der Stelle zurück, an der ich bislang gearbeitet hatte. Ich sagte ihm, daß wir nach dem Kopf einer Frau suchten und nach einem rechten Arm.
    An Trennzäunen und auf nicht fertig bebauten Hügeln hinter dem Häusertrakt standen Leute, nicht viele, die zusahen und diskutierten, wen es erwischt hätte, wenn das Flugzeug etwas östlicher oder ein bißchen weiter westlich zerschellt wäre.
    Wir arbeiteten die ganze Nacht durch, und die Feuerwehr brachte spezielle Beleuchtung. Wir mußten durcharbeiten, um das Gebiet vor allen möglichen Arten von Räubereien, seien sie fedriger, pelziger oder anderer Art, zu schützen. Ein- oder zweimal schaute ich hoch, um mir die Weihnachtslichter eines Hauses anzusehen, und ich fragte mich, ob die Leute da drin Angst, Dankbarkeit, Traurigkeit oder Ruhe empfänden und dachte darüber nach, welche Rolle die Religion in den meisten Menschenleben spielte und ob einer von ihnen das entsprechend erklären könnte.
    Mein neuer Chef Stu Hollings war die ganze Zeit da, das muß ich ihm lassen. Er arbeitet. Was ihm an persönlichen Fähigkeiten fehlt, das macht er durch Einsatz wieder gut. Als wir alle am zweiten Nachmittag am Irvine P.D. Communications Vehicle standen, sagte er: »Ihr habt hier gute Arbeit geleistet, Leute.« Ich freute mich, das von ihm zu hören, da Leute hier Überstunden gemacht hatten, die es normalerweise nicht tun, da sie statt dessen ja auch Weihnachtseinkäufe hätten machen können. »Ich möchte, daß Sie nach Hause gehen und sich ausruhen. Tun Sie irgend etwas Entspannendes, das Sie auf andere Gedanken bringt. Sehen Sie sich einen Film an oder ... «
    Jemand unterbrach ihn und sagte: »Die sind blutiger als das hier«, und alle lachten.
    In der Nacht vor dem Flugzeugunglück hatte ich Patricia nach der Arbeit angerufen und nur ihren Anrufbeantworter erreicht. Drei Tage später, am Samstag, rief sie mich an. Ich lag mit meinem Fernglas auf der Couch und sah mir zwei Kolibris an, die immer kommen, um auf der Terrasse an den drei Töpfen mit 1,20 Meter hohen, lila Lilien und den pinkfarbenen Blüten meines hängenden Weihnachtskaktus zu naschen. »Er war wieder in meiner Wohnung«, sagte sie.
    Ich setzte mich auf. Meine Arme fühlten sich schwer an.
    Sie sagte: »Jemand war in meiner Wohnung. Weißt du, wie sich Milchkartons nach innen biegen, wenn man sie schließt?«
    »Ja.«
    »Also meiner war nach außen gewölbt. Nach außen, statt nach innen.«
    Ich konnte es mir vorstellen, sagte aber: »Das ist alles?« Die Kolibris flogen vor mein Fenster und blieben dort, so als ob sie sagen wollten, wer ist das am Telefon, und können wir hereinkommen?
    Patricia sagte: »Als ob jemand davon getrunken hätte, das meine ich.« Sie ärgerte sich über mich. »Weißt du, wie Jungs direkt aus einer Milchtüte trinken und sie so wieder in den Kühlschrank stellen. So sah es aus. Mein Bruder hat das immer gemacht. Jemand hat von meiner Milch getrunken und sie so wieder

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