Blutorangen
der Vergänglichkeit des Lebens sprach, deshalb, Baby, lebe. Lebe endlich.
Ich fühlte, wie seine Hände über meine Schulter strichen und meine Bluse herunterfiel. Wo ist er? Wo ist mein Mantel? Schlafe ich? Ich dachte nicht nach, sondern ich fühlte, ich lebte.
In meinen Kopf sah ich Bilder: keine schlechten, sondern gute, von schimmernden Pampasgraswedeln, von einer beigefarbenen Trauer taube, die ich einmal auf einem blattlosen Baum sitzen sah, während die Sonne auf die blassen Zweige und das verblichene Herbstgras am Boden schien, und die Taube hob ihre Flügel wie Zimbeln und hielt sie hoch, um ihre kleinen Achselhöhlen auszulüften.
Auf dem metallenen Reißverschluß meiner Jeans spürte ich einen leichten Druck. Zip. Schnell. Joe küßte mein Gesicht. Nicht meine Lippen. Joe flüsterte: »Tue nichts. Bleib’ nur ganz, ganz ruhig. Du mußt gar nichts ... tun.«
In meinem Kopf sah ich Joe und Jennifer bei einer unserer Parties tanzen, wie anmutig sie zusammen aussahen, ihr braunes Haar, in dem sich die Lichter wiederspiegelten und ihr Kleid, das sich bewegte. Als ich dieses Bild in meiner Erinnerung sah, fühlte ich mich bestürzt und legte automatisch eine Hand auf Joes Hand, als er anfing, meine Jeans über die Hüften zu ziehen.
»Was ist?« fragte er.
»Nichts.«
Seine Hände umfingen mich und ließen die Landschaft zwischen meinen Beinen zerschmelzen. Dann küßte er meinen Busen und den Spitzenrand an meinem Büstenhalter. Er zog die Träger herunter. Nur die Träger. Den Rest ließ er. Ich wollte ihm helfen.
Nein.
Ich nahm Befehle entgegen.
Seine Hüften drückten mich an die Wand. Mein ganzer Körper war wie ein Mund, der sagte, gib mir mehr, gib mir mehr. Mann.
Seine Lippen wanderten zu der Spitze, über die Spitze hinweg sein heißer Mund herunter zu meinen Brüsten, seine Zunge schob die Spitze weg und jetzt stand ich der Welt nackt gegenüber, die Joe für mich in diesem Moment auch bedeutete, und nichts anderes.
Dann fühlte ich das Bett unter mir, die weiche Decke und die echten Daunenkissen, die sich an jeder Seite meines Kopfes herausdrückten. Von ihnen ging ein Geruch aus, der mich ganz rastlos machte. Ich stöhnte auf.
Ich hörte das Rascheln von Folie, und er fing an, sich mit etwas zu schaffen zu machen, deshalb flüsterte ich: »Laß mich das für dich tun«, dann trafen sich unsere Augen und ich lachte und sagte: »Ich weiß: Sei ruhig.« Aber ich kam halb hoch, nahm die Folie aus seinen Händen, wobei ein dunkler Schatten sich von dem helleren Schatten des Raumes abhob.
Als ich den Präservativ zwischen den Lippen hatte, beugte ich mich herab und rollte ihn über, wie ich hörte, daß man es tun könne. Seine Hände ergriffen meine Schultern, und jetzt war es an ihm einen Laut von sich zu geben, und ich lehnte mich zurück, schloß meine Augen und fühlte sein Gewicht und die Hitze seines Körpers auf mir.
Meine Lippen waren an seinem lieben Gesicht.
Seine heisere, süße und hungrige Stimme sagte: »Smokey, Smokey.«
Das Leben verläuft nicht geradlinig. Auch unsere Handlungen nicht. Man möchte denken, daß man von A zu C über B kommt, aber manchmal springt man direkt zu M und dann wieder zurück zu B — eigentlich wie eine Fliege: Eine Fliege glaubt man, denke linear. »Der kleine Kerl wird nach Osten fliegen, mit circa 4,20 Metern pro Sekunde. Ohne Probleme kann ich ihn beim Start erwischen.« Aber nein, eine Fliege fliegt beim Start rückwärts. Aha.
So erkläre ich es mir, daß ich zu Joe gefahren war, bevor ich die Suche nach Patricia aufnahm. Ich konnte mich um eine Angelegenheit kümmern, so kalt sich das auch anhört und hätte dann Platz für Zorn und feste Absichten.
Am Weihnachtsmorgen nahmen einige von uns den Nachmittag frei. Ich hatte mich entschlossen, intensiv zu arbeiten und mich nicht von den Leuten anquatschen zu lassen, die mir erzählen wollten, was sie für ihre Kinder gekauft haben und wo sie dieses Jahr ohne sie Skilaufen gingen. Normalerweise höre ich eine Weile zu, nehme einige Papiere, lächle und sage: »Das ist aber schön.« Und dann sage ich: »Ich muß kopieren gehen.« Statt dessen hole ich mir Kaffee oder gehe auf die Toilette und bin zurück, während sie noch mit der nächsten Person reden. Heute sagte Herb, dem Zahnheilkundler oder Zahnarzt-für-Tote, wie er sagt, daß ich eine bestimmte Aufgabe für Stu zu erledigen hätte und mich damit beeilen mußte. Betty Brankoff aus der Identifikationsabteilung war bei ihm. Ich
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