Blutportale
betrachtete den Bau. »Ich sehe schon, die orthodoxen Klöster sind anders aufgebaut als die im Westen.«
Saskia hatte die Hände in den Jackentaschen und spürte die Dolche, die sie im Hosenbund trug. Auch Justine und Will hatten sich Messer besorgt. Ihre Pistolen hatte Justine nicht mit hierherbringen können; die Gegenseite besaß also bestimmt ein wesentlich besseres Arsenal. Saskia wandte sich um, konnte aber niemanden am Eingang erkennen. Sie hatte inzwischen häufig das Gefühl, verfolgt zu werden. Eine berechtigte Furcht, wenn man bedachte, was sie in den letzten Tagen durchlebt hatte.
Sie spuckte aus, was sie normalerweise niemals tat, doch der penetrante, fast ätzende Geschmack von Bittermandel und Essig lag noch immer auf ihrer empfindlichen Zunge. Es waren Erinnerungen an ihre Gabe, die sie eingesetzt hatte, um Will eine Vision sehen zu lassen. Sie hasste den Geschmack, fürchtete jedoch, ihn bis zum Ende ihres Abenteuers noch öfter schmecken zu müssen. Sie musste sich Bonbons besorgen.
Justine hielt auf das große Gebäude mit der Kuppel zu. »Haben die alle schon Feierabend?« Sie fröstelte und zog den Steppmantel enger. »Keine Handwerker, keine Mönche.« Will ging die Treppe hinauf und drückte die Klinke herab. Die Tür schwang auf, und eine kalte Wolke aus Desinfektionsmittelgeruch, Putzmittel und sehr altem Gemäuer staubte heraus. »Ich fürchte, wir sind zu spät.«
Er betrat das Bauwerk nachdenklich. In dem Moment schlug eine der Glocken, und er erkannte den Tön: tief, dunkel und voll. Wie in seiner Vision! Das erleichterte ihn.
Die beiden Frauen drängten sich hinter ihm hinein, und Justine schloss die Tür. »Suchen wir das Refektorium.« Sie deutete auf das große Blechschild am Treppenaufgang, auf dem wieder in Kyrillisch ein Stockwerkverzeichnis aufgelistet war. »Wir bleiben im Erdgeschoss. Fangen wir rechts an und arbeiten uns systematisch durch.« Sie zog eines ihrer Messer und hielt die Klinge eng an den Unterarm gelegt, damit man es nicht sofort sah. Saskia tat das Gleiche.
Ihr Weg führte sie durch einen Gewölbegang, in dem die Feuchtigkeit den Anstrich verfärbt und Schimmel gebildet hatte. Teile der kunstvollen Bemalung waren vollkommen unkenntlich, woanders hatten sich Wasserflecken an den Decken gebildet. Auf vielen Steinen zeigten sich große Risse und Salpeterflecken, Stützen verhinderten einen Einsturz. Die Gerüste mit den Arbeitsplattformen standen auch hier, als seien sie eben erst von den Arbeitern verlassen worden.
»Nach links«, sagte Will plötzlich, als sie an einen Quergang gelangten. »Hier muss es sein, gleich da drüben! Ich habe die Umgebung erkannt.« Er stürmte vorneweg und hielt auf eine zweiflügelige, halbrunde Tür zu, vor der er abrupt stehen blieb.
»Will, hast du das gesehen?« Saskia erkannte drei Zeichen wieder und war sicher, sie schon auf der Tür in der Villa gesehen zu haben. Sie waren in die geschnitzte Szene eines Abendmahls eingebettet, als Symbole am Firmament über den Speisenden. Und am Fuß der Tür lauerte die kleine, stark verwitterte Ausgabe desselben Fratzengesichts, das auf dem Wandteppich der Villa zu sehen gewesen war!
Justine hatte sich umgedreht und sicherte ihnen den Rücken. »Ich höre noch immer nichts«, meinte sie angespannt. »Wo stecken die Mönche? Y'a quelque chose qui ne va pas ici!« Will legte die rechte Hand auf den Griff der Tür und schob sie auf.
11. November
Russland, Posolsk, südöstlicher Baikalsee
Demetrios betete in Gedanken ununterbrochen zu Gott und konnte die Augen nicht von der rauchenden Pistolenmündung nehmen, die ihm den Tod verhieß. Er war von dem Anblick gelähmt. Das Frauengesicht dahinter nahm er nur verschwommen wahr.
»Ich warte«, sagte sie und zog den Hahn nach hinten, »nicht mehr lange. Wir werden einen nach dem anderen erschießen, wenn ...«
Demetrios hob langsam die Arme. »Nein, ich bitte Sie! Haben Sie ein Einsehen!«, stotterte er. Die Frau presste ihm die warme Mündung gegen die Nasenwurzel. »Wo ist das Artefakt?« »Nicht hier. Sie sind im falschen Kloster«, sagte er eingeschüchtert. Er roch das verbrannte Pulver.
»Unsere Quellen sagen etwas anderes.«
»Das Artefakt, das ihr sucht, ist verschollen, doch es heißt, dass es eines Tages zurückkehren wird«, sagte Demetrios. »Aber in das Troizko-Selenginski-Kloster, nicht in unseres. Wir sind nur das Tochterkloster!«
Die Frau stieß einen wütenden Fluch aus und sprach in ihr Headset. Er vermutete,
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