Blutportale
Knopfdruck auf die Fernbedienung verriegeln. Weil nichts geschah, musste sie den Wagen mit dem Schlüssel absperren. Die Batterien waren am Ende. Das war typisch für sie; profane Dinge wie Batterien vergaß sie vollkommen, wenn sie sich im Restaurant dem Kochen hingab -oder, so wie jetzt gleich, ihrem Hobby.
Wer sie zum ersten Mal sah, konnte Saskia für farbenblind halten. Die Kombination einer dunkelgrünen Hose und einer gelben Jacke in Verbindung mit der hellroten Baseballmütze, die auf den halblangen, dunkelblonden Haaren saß, wirkte auf die Augen der meisten Menschen mindestens irritierend. Dabei zählte das, was sie heute trug, zu den harmloseren Zusammenstellungen. Saskia mochte es bunt und durcheinander, was Kleidung anbelangte. Umso erstaunter war man als Restaurantgast, wenn man ihre Gerichte kostete und sie alle formidabel schmeckten. Chaos und Kreativität hingen doch irgendwie zusammen.
Sie näherte sich dem Eingang zu einem der unzähligen Backsteingebäude in der Speicherstadt entlang der Elbe. Ihre Stiefelsohlen platschten in flache Pfützen und gaben danach bei jedem Schritt auf dem Pflaster leise quietschende Geräusche von sich.
In der Nähe befand sich der Hamburg Dungeon, eine Art stadthistorische Geisterbahn für Erwachsene, die den Nervenkitzel suchten. Saskia mochte den Spukkram nicht besonders, auch wenn er künstlich war und sie wusste, dass Schauspieler und viel Elektronik dahintersteckten. Vor der Tür stand ein schlechtrasierter Mann in einem langen schwarzen Mantel und rauchte ein Zigarillo. Kantiges Gesicht, kurze Haare, ein ausgebildeter Eintrittsverhinderer. Lächelnd blieb Saskia vor ihm stehen und wunderte sich insgeheim, warum er gleichzeitig rauchte und Kaugummi kaute. Kein Geld für parfümierten Tabak? »Moin, moin.«
»Hallo.« Er beachtete sie kaum. »Zum Dungeon geht es da drüben rein. Der Bühneneingang für die Darsteller ist irgendwo um die Ecke.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin hier schon richtig. Man erwartet mich auf der Planche.« Sie nahm einen sehr alt anmutenden Silberknopf aus der Jacke und zeigte ihn vor; das Zeichen darauf waren drei gekreuzte Dolchpaare, eins oben, zwei darunter. »Fröhlich soll die Klinge singen«, zitierte sie, »Schutz und Leib des Gegners durchdringen.«
Der Mann spuckte erstaunt seinen Kaugummi aus und schnippte das Zigarillo weg, während er sie von oben bis unten musterte. Sie war nur ein bisschen kleiner als er, aber wesentlich schmaler gebaut. Seinem kritischen Scanner-Blick hielt sie spielend stand. Dann nahm er ein Handy aus der Manteltasche und telefonierte in einer Sprache, die Saskia nicht verstand. Er beendete das Gespräch und hielt das Display zu sich gewandt auf ihre Höhe; es klickte leise. »Abgleich«, sagte er karg und tippte auf die Tastatur ein.
Saskia blieb geduldig. Es war der übliche Ablauf bei einem Duell der union des lames, der Vereinigung der Klingen: Sie wurde zu einer gewissen Uhrzeit an einen bestimmten Ort bestellt. Der historische Spruch und der nicht minder alte Knopf waren die erste Kontrollinstanz, um dem stets wechselnden Wachmann am Eingang zu zeigen, dass sie sich nicht zufällig hierhin verirrt hatte; danach wurde ihr Bild an das Komitee geschickt, um ihren Anspruch, Eintritt zu verlangen, zu verifizieren. Die Zweikämpfe der verschworenen Gemeinschaft waren international, sie konnten an jedem Ort stattfinden; das Komitee kam für die Reisen auf. Niemand wusste, wie es sich finanzierte, und niemand stellte Fragen. Als Anhänger der Vereinigung der Klingen lebte man gefährlich, konnte dafür aber die Welt sehen. Saskia hatte bereits in Venedig, in Dubai, in New York und Nairobi ihre Klinge geführt, doch sie zog es wegen des Restaurants - vor, in Hamburg anzutreten. Es gab nur wenige, denen dieses Privileg zugestanden wurde.
Leider wurde sie nicht überall derart hofiert. Während sie auf ihre Verifikation wartete, musste sie an Groening denken, den Gourmetkritiker, der ihre Küche bei anderen Kollegen und in der Szene schlechtmachte. Sie hatte ihn mit seinen billigen, widerlichen Avancen abblitzen lassen, und seitdem war es sein erklärtes Ziel, das Bon Goût zu vernichten. Seine Website brachte einen Verriss nach dem anderen, und auch verschiedene Journale und Tagesblätter druckten seinen Unfug. Saskia ärgerte sich und war doch hilflos. Das Bon Goût und der Gedanke an Groening gehörten inzwischen irgendwie zusammen, und Saskia hasste sich selbst dafür. Das Handy des Wachmanns
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