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Blutportale

Blutportale

Titel: Blutportale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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ihre Augen hinter einer großen Sonnenbrille; hin und wieder musste sie sich mit der Hand über die Wangen fahren, um Tränen verschwinden zu lassen.
    Saskia hatte gewusst, dass die Schwesternschaft - oder zumindest einige Nonnen - Justine sehr viel bedeutete. Trotzdem überraschte sie die unerwartet heftige Emotionalität. Mehr noch, sie bereitete ihr große Sorge. Justine hatte ihre Trauer und ihren Schmerz bisher nie in der Öffentlichkeit gezeigt, sie hatte sich stets zurückgezogen, in einen Höhlenersatz. Doch nun hatte der Schmerz, den sie empfand, ihrer Maske einen irreparablen Sprung zugefügt. Will dirigierte sie nach Hamäh und dort zielstrebig durch die Straßen und Gassen, so dass der Fahrer nicht ein einziges Mal anhalten musste. Will schien sich schon wochenlang durch diese Stadt bewegt zu haben, er zeigte nie auch nur einen Anflug von Unsicherheit oder ein kurzes Zögern. Die Vision hatte einen starken, nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Das Taxi hielt gegen Mittag vor einem etwas versteckt liegenden Laden an, auf dem in mehreren Sprachen Wunderlampe geschrieben stand. Darunter warb ein Schild mit echten Antiquitäten, die direkt aus dem untergegangenen Palmyra stammten. Das Gitter war zugezogen, der Inhaber nicht da. Will ließ den Fahrer aussteigen und fragen, wo man ihn fände. Der Mann nickte und machte sich gegen die Zahlung von weiteren zehn Euro auf den Weg. Sie waren allein im Wagen.
    Justine zog die Nase hoch, steckte sich eine Zigarette an, entzündete sie, paffte schnell und blies den Rauch aus dem Fenster.
    »Du musst mit uns reden, Justine«, sagte Saskia eindringlich. »Sag uns endlich, wen du für die Schuldigen hältst, damit wir etwas unternehmen können.«
    »So viele kommen dafür nicht in Frage«, steuerte Will bei, als Justine weiterhin schwieg. »Es waren die Belualiten.«
    »Wenn ich das alles richtig verstanden habe, existiert die Schwesternschaft seit langer Zeit«, hielt Saskia dagegen. »Und wenn man bedenkt, mit wem sich allein Justine in ihrem Auftrag schon angelegt hat, muss man davon ausgehen, dass die Nonnen eine ganze Reihe Feinde gehabt haben.«
    »Es war der Maitre«, sagte Justine mit dünner Stimme, sah starr aus dem Fenster und rauchte weiter; ihre Hand zitterte. »Ich weiß es.«
    Bevor Saskia oder Will auf diese Enthüllung eingehen konnte, kehrte der Taxifahrer zurück und verkündete, dass der Inhaber, Shafiq Barakeh, in Palmyra sei, wo er gewöhnlich um diese Uhrzeit Reisegruppen durch die Ruinenstadt führte. Will bat ihn, sofort loszufahren, und so rauschten sie in dem klapprigen Panda durch die Wüste zu der uralten Metropole. Die Straße dorthin war gut ausgebaut. Touristenmagneten wie Palmyra zogen Geld an, und das konnte ein nicht eben reicher Staat wie Syrien sehr gut gebrauchen. Asphalt wurde zu Gold. Sie schwiegen wieder.
    Justine starrte aus dem Fenster. Offensichtlich wollte sie in ihrem Schmerz allein sein und keinen Trost.
    Saskia seufzte, kramte in ihrem Rucksack und verteilte Wasserflaschen und Schokoriegel zur Stärkung. Justine nahm beides stumm entgegen; Will bedankte sich ebenfalls nicht. Er spülte wortlos eine Morphintablette mit einem Schluck aus der Flasche hinunter. Seit er sie nahm, bewegte er sich ohne Einschränkung. Der Preis war offenbar, dass er mehr Visionen bekam und sie wesentlich stärker durchlebte. Saskia war aufgefallen, dass er sich während der Fahrt mehrmals an seinem Sitz festklammerte und tonlos die Lippen bewegte, als redete er mit einem Unsichtbaren oder würde ein Gebet sprechen. Wenn sie ihn darauf ansprach, betonte er, dass es ihm gutginge und die Wunde in seinem Rücken ihm keinerlei Schwierigkeiten mehr bereite. Saskia machte sich dennoch Sorgen um ihn - und um seine Kräfte. Was würde geschehen, wenn dieser Blick, der Putz und Steine sprengte, einen Menschen traf? Sie hatte bemerkt, dass er zudem einen merkwürdigen Geruch verströmte, selbst nachdem er frisch geduscht war: sauer, vergoren und stechend. Und das war noch milde ausgedrückt.
    Als habe er ihre Gedanken gehört, wandte er sich unvermittelt um. Sie lächelte ihn an - und erschrak, als sie merkte, dass sein Blick auf der Stelle ihres Kaftans ruhte, unter der sich das Schwert befand. Noch immer trachtete er nach dem Artefakt, und das machte ihr Angst. Es wurde Zeit, dass sie ihre Gaben, Flüche, was auch immer, zusammen mit den Artefakten loswurden. Die neuen Fähigkeiten veränderten sie zunehmend. Sie spürte, dass sie sich zu sehr an die Macht

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