Blutportale
Wills Ankunft. Saskia nutzte die Gelegenheit und ging zum Rezeptionisten, um die Gebühr für einen Internetzugang am Kunden-PC neben dem Eingang zu bezahlen. Zuallererst prüfte sie die Lage in Hamburg. Die Pest war eingedämmt, doch die Ärzte mussten eine Reihe Todesfälle einräumen. Noch immer standen sie dem Bakterienstamm hilflos gegenüber. Mehr gab es nicht, was sie interessierte.
Also surfte Saskia durchs Netz und machte sich auf Informationssuche. Als sie Kinder des Judas eingab, entdeckte sie auf obskuren Websites zahlreiche Verweise auf Vampire mit besonderen Merkmalen: rote Haare, ein Biss, der zu totalem, schlagartigem Blutverlust des Opfers führte und es sofort tötete. All das passte sowohl zu Marat als auch zu Smyle. Sie markierten ihre Beute mit drei X, lateinisch für dreißig, die Zahl der Münzen, die Judas für seinen Verrat an Jesus bekommen hatte.
»Meine Güte«, flüsterte sie. Erschütternd fand sie, dass die Vampire ihre Existenz nicht einmal verbargen. Man konnte diese Beschreibungen ohne Mühe im Internet finden. Welche Dreistigkeit!
»Quelle merde«, sagte Justine neben ihr. Sie war leise zu ihr getreten, um zu schauen, was Saskia an Neuigkeiten herausgesucht hatte. »Es gibt sie also wirklich.« Sie fluchte anhaltend auf Französisch. »Ich habe eben noch mal versucht, die Schwesternschaft zu erreichen, aber die Leitung ist tot.«
»Wir sind in Syrien. Es können simple technische Probleme sein«, versuchte Saskia sie zu beruhigen. »Sie waren doch die ganze Zeit schwer zu erreichen, oder? Hast du nicht gesagt, dass sie mit irgendetwas Wichtigem beschäftigt waren? Vielleicht ist das ... also ... noch wichtiger geworden?«
Justine erwiderte nichts. Sie konnte Saskia einfach nicht sagen, dass sie den ihr so verhassten Maitre getroffen hatte - und schon gar nicht, was zwischen ihnen geschehen war. Natürlich konnte es wirklich Zufall sein, dass sie - seit Levantin die Schwestern erwähnt hatte - keine Verbindung mehr mit ihnen herstellen konnte, aber ...
»Ich glaube nicht an Zufälle. Darf ich?« Es war natürlich eine rhetorische Frage. Sie schnappte sich die Tastatur und rief im Stehen die Website der Zeitung auf, von der sie wusste, dass sie in Genzano gelesen wurde - und fand dort eine Meldung, die sie bis ins Mark traf: Es hatte eine gewaltige Explosion gegeben, bei der das Kloster bis auf die Grundmauern niedergebrannt war.
Und es gab keine Spur von Überlebenden.
»Non«, flüsterte sie. Ihre Zigarette fiel auf den Boden.
»Scheiße!«, entfuhr es Saskia, die zwar kein Italienisch sprach, aber die Bilder auf der Website richtig interpretierte. »Heißt es das, was ich ...«
»Chut! Halt den Mund, ich muss ...« Sie las, so schnell sie konnte, und mit jedem Wort wurde ihr übler, kälter. Die italienische Polizei ermittelte in alle Richtungen, wie es hieß, schloss einen Unfall jedoch aus. Selbst die Schächte im Berg, die als Museumsarchiv genutzt wurden, seien vollständig ausgebrannt. Die Zahl der Opfer wurde mit siebenundachtzig angegeben, darunter elf Touristen.
Saskia stand vorsichtig auf und drückte Justine dann mit sanfter Gewalt auf den Stuhl. Sie ließ ihre Hände auf den Schultern der Französin liegen, um ihr Trost zu spenden, doch die schüttelte sie unwirsch ab und gab ihr zu verstehen, dass sie alleine sein wollte.
Saskia ging schnell davon. Justine blieb zurück; eine einsame Wölfin. Ihr war zum Schreien, doch der Schock verhinderte einen lauten Ausbruch. Die Bestie in ihr jaulte schmerzlich auf. »Je vais le tuer«, sagte sie kehlig und zerbrach die Tastatur zwischen ihren Händen in zwei Hälften.
Fünkchen zuckten in die Höhe, und die Sicherung unterbrach die Stromzufuhr. Knisternd erlosch der Monitor, und damit verschwanden auch die Bilder des zerstörten Klosters. »Ich werde dich finden«, sagte Justine leise. »Pour cela, tu payeras.«
XX KAPITEL
17. November
Syrien, nahe Tudmur (Palmyra)
Will hatte einen Taxifahrer gefunden, der sie in einem verbeulten und zerkratzten Fiat Panda in Richtung Palmyra fuhr. Dabei spähte er ständig umher, um Ausschau nach etwas zu halten, was er in seiner Vision gesehen hatte. Saskia achtete derweil auf mögliche Verfolger. Zumindest wollte sie das. Aber immer wieder musterte sie die Frau, die neben ihr auf der Rückbank saß, und überlegte, wie sie ihr helfen konnte. Und ob es überhaupt ratsam war, dies zu versuchen. Justine hatte seit der erschütternden Nachricht kein Wort mehr gesprochen. Sie verbarg
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