Blutportale
»Nun bist du gut genug, um der union des lames beizutreten. Wenn du möchtest.«
»Die union ist geheim. Niemand kennt ein Mitglied mit seinem wahren Namen«, hatte der Unbekannte eingeworfen und dabei bedrohlich geklungen. An sein Gesicht konnte sie sich nicht mehr erinnern, nur an seinen eindrucksvollen, dunkelbraunen Vollbart. »Die Wettkämpfe werden von einem Komitee organisiert und überwacht. Du wirst mit niemandem darüber sprechen können, auch nicht mit deiner Mutter, verstehst du? Es gibt von der union keine Pokale, keine hübschen Siegerfotos in den Zeitungen, keine öffentliche Anerkennung. Du fechtest einzig der Ehre wegen und um in der Rangliste nach oben zu steigen. Nur wer sich die Spitze sichert, erhält eine stattliche Summe, Jahr für Jahr. Solange - aber auch sofern - er sich oben halten kann.« Er sah sie fest an. »Du stehst an einem Scheideweg, Mädchen.« Saskia hatte die Hand um den Silberknopf geschlossen und mit dieser Geste stillschweigend sämtliche Regeln akzeptiert. Ihre Augen, so erzählte ihr Vater später, leuchteten dabei. »Ein Kampf noch, und ich bin an erster Stelle«, flüsterte sie nun in die Stille des Umkleideraums und band ihre Haare mit dem weißen Kopftuch zurück. »Der Maitre wird fallen.«
Saskia legte den metallenen Schnittschutz über ihre Brüste an und schloss ihn auf dem Rücken. Er war das einzige Zugeständnis, das für Frauen gemacht wurde. Zu guter Letzt nahm sie den Säbel und die Fechtmaske hervor, die Saskia immer an ein überdimensionales Insektenauge erinnerte. Es handelte sich um die klassische Variante aus VA-Stahldraht, die das Gesicht für den Gegner fast unsichtbar machte.
Für den heutigen Kampf hatte sie den leicht geschwungenen Säbel gewählt. Nicht weil sie mit ihm am besten zurechtkam, das Rapier lag ihr weitaus mehr; nein, der Säbel hatte ihrem verstorbenen Vater gehört. Ihm wollte sie ihren Sieg widmen und ihn durch die Waffe am Gefecht teilhaben lassen. Die Schneide schimmerte frisch geschliffen, der eiserne Korb um den Griff glänzte.
Sie setzte die Maske auf, nahm den Säbel in die linke Hand und starrte ungeduldig auf die Tür, hoffte, dass sie bald in den salle d'armes gerufen wurde. Nach einer kleinen Ewigkeit hörte sie, wie sich Schritte durch den Flur näherten, dann trat eine brünette Dame ein, die ein dunkelrosafarbenes Abendkleid mit einer schwarzen Stola trug; bei Ranglistenkämpfen war stilvolle Kleidung unter den Schiedsrichtern Pflicht. Saskia kannte das Gesicht der Frau von vielen vorangegangenen Kämpfen, ohne je ihren Namen gehört zu haben. »Rapier, Sie sind an der Reihe«, verkündete sie und ging voraus.
Saskia folgte ihr und glaubte, auch auf dem Stoff ihres Kleids kleine dunkelrote Spritzer zu sehen. Der Maitre schien mit sehr viel Schwung geschlagen zu haben. Viele hätte dieser Gedanke erschreckt; Saskia sah dies als wertvolle Information an, die sie nutzen konnte, um ihren Gegner zu schlagen.
Sie war gespannt, welche Waffe er führte. Es war nicht sicher, dass auch er einen Säbel gewählt hatte; die union des lames bevorzugte nichts, sondern setzte auf alle Klingenwaffen, mit denen man stechen und schlagen konnte. Anders als bei normalen Wettkämpfen gab es kaum einschränkende Regeln. Als Trefferzone war der gesamte Körper freigegeben. Abgesprochen wurde lediglich, ob mit einer oder zwei Waffen gekämpft wurde. So konnte es geschehen, dass sich ein Mann mit zwei Schwertern und einer mit zwei Dolchen gegenüberstanden. Das wiederum bedeutete allerdings nicht, dass zwangsläufig derjenige gewann, der die Schwerter führte. Saskia hatte die Chroniken der union aus den alten Tagen gelesen. Voller Ehrfurcht wurde dort von einem Frans Hohentgar erzählt, einem Kampfmeister, Söldner und Attentäter im siebzehnten Jahrhundert, der den Umgang mit den Messern so perfektioniert hatte, dass er jedem Angreifer überlegen war. Ihr eigener Stammbaum ließ sich bis zu ihm zurückverfolgen; der Silberknopf stammte von seiner Landsknechtjacke, wie ihr Vater einmal gesagt hatte. Sie trat in einen langen, rechteckigen Raum, in dem viele Kerzen in Standleuchtern und Laternen brannten. Dies war noch eine Maxime der union: Bei einem Duell durfte kein elektrisches Licht eingesetzt werden.
Obwohl man sie geholt hatte, schien sie zu früh gekommen zu sein, denn gerade wurde die vierzehn Meter lange Planche eingerollt. Als sie das viele Blut darauf sah, wusste sie den Grund: Es war unmöglich, darauf ein gutes Gefecht zu
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