Blutportale
und ihn beinahe geschlagen hatte. Die andere Frau war Justine gewesen, daran hatte er inzwischen keinen Zweifel mehr.
Levantin war außerdem sehr gespannt, was aus Hadriana geworden war, die damals mit den Angreiferinnen durch das Portal gezogen worden war. Würde die Wandlerin auch einen Weg in die Gegenwart finden - und war sein Latein noch gut genug, um sich mit ihr zu unterhalten? Wobei: Unterhaltungen hatten für ihn und die Schlange nie den größten Stellenwert gehabt. Er las das Pergament und erfreute sich an dem Gedicht. Eine verborgene Beschwörungsformel. Der Grabräuber, in dessen Besitz es lange Zeit gewesen war, hatte die geheimnisvolle Verbindung zwischen dem Pergament, der Vergangenheit und den unter dem Sand verborgenen Gegenständen aus der Antike lange Zeit für sich genutzt. Levantin vermutete, dass es sich bei Shafiq um einen latent Magischen gehandelt hatte. Andernfalls hätte er weder erkannt, dass es sich nicht um ein einfaches Stück Pergament handelte, noch wäre er in der Lage gewesen, das Artefakt bei sich zu behalten und es daran zu hindern, an seinen ursprünglichen Ruheort zurückzukehren.
Levantin steckte es nun in die Innentasche seines Sakkos und zog den Reißverschluss zu. Seine Haut spannte noch etwas. Es hatte länger als sonst gedauert, bis sie nachgewachsen war und wieder gut aussah. Vor allem das Gesicht hatte unter dem Feuer gelitten. Chinon war Niederlage und Sieg gleichermaßen gewesen. Die Daten und Erkenntnisse der Belualiten hatten ihm alle Geheimnisse erschlossen, doch dafür war ein Großteil seiner Privatarmee vernichtet worden. Sein Ziel musste Levantin nun mit ein paar Kontakten und nur wenigen Kämpfern erreichen. Doch er befand sich im Schlussspurt.
Er nahm einen Rosenkranz aus der Schublade, an dessen Perlen getrocknetes Blut klebte. Ein Andenken, das er Justine bei der nächsten Gelegenheit zum Geschenk machen wollte. Die Ausmerzung der Nonnen war im Vergleich mit Chinon ein Kinderspiel gewesen. Wer gegen Wandler vorging und es verstand, Spione zu erkennen und auszuschalten, verstand sich nicht automatisch auf die Abwehr von sehr irdischen Überfällen, die mit dämonischer Verstärkung einhergingen. Sollte es noch Angehörige der Schwesternschaft vom Blute Christi geben, hatten sie sich zum Zeitpunkt der Attacke nicht in Genzano aufgehalten. Sie würden, wie die entkommenen Diener Beluas, keine Rolle mehr spielen. Levantin verbuchte beide Aktionen als Erfolg.
Er lehnte sich zurück und legte einen Arm nach hinten, auf den er den Kopf senkte; er wollte einen Moment ausruhen, bevor er sich erneut auf den Weg machen musste. Dabei ließ er die Monitore nicht einen Augenblick unbeobachtet.
Gul durfte nicht sterben.
Noch wurde diese schwache Kreatur gebraucht.
Mit einem Schrei richtete Saskia sich auf und sah sich hektisch in der Dunkelheit um. War sie wieder in der Kammer in der schrecklichen Partynacht, die ihr Leben auf so drastische Weise verändert hatte?
»Saskia?«
Sie kannte die Stimme. Justine befand sich nicht weit von ihr entfernt, und Saskia drehte den Kopf in ihre Richtung.
Die Augen hatten sich an die Finsternis gewöhnt. Sie erkannte einen wunderschönen Sternenhimmel über sich, den sie in dieser Klarheit niemals zuvor gesehen hatte. Um sie herum erhoben sich die Reste monumentaler Bauwerke, und in ihr keimte die Hoffnung, dass sie es durch das letzte Portal tatsächlich an den Ausgangsort ihrer Odyssee geschafft hatten. Doch zu welcher Zeit?
Es war das vierte Portal, das sie geöffnet hatte. Die anderen hatten sie an Orte geführt, an denen sie nicht lange geblieben waren. Sie waren zu fremd, zu unirdisch gewesen.
Saskia fühlte sich erschöpft und erhob sich, auch wenn sich ihre Beine wie Gummi anfühlten, nahm das Schwert an sich und ging Justine entgegen. Sie machte einen Schritt über umgestürzte Steinsäulen hinweg und kletterte über halb freigelegte Steinquader. Im Licht der Nachtgestirne entdeckte sie in einer Vertiefung Ausgrabungsutensilien. Die Werkzeuge passten von ihrer Beschaffenheit durchaus ins einundzwanzigste Jahrhundert.
Plötzlich stand Justine vor ihr. »Du hast es geschafft!«, jubelte sie. »Du hast uns zurückgebracht!«
»Warte es lieber ab, bis wir sicher sein ...«
»Nimm dein Handy raus.« Saskia tat es, und Justine deutete darauf. »Du hast Empfang! Welchen Beweis brauchst du noch?«
Saskia gönnte sich nun ebenfalls ein Lachen. »Achtzehnter November 2009, kurz vor vierundzwanzig Uhr.«
Justine streckte
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