Blutportale
Levantin gönnerhaft. »Willst du deine Gabe wirklich aufgeben? Du hast nicht einmal halbwegs erkundet, was du damit zu tun vermagst.« »Sie bringt mich dazu, Menschen zu töten und durch die Zeiten und Dimensionen zu stolpern.« Saskia lachte böse auf. »Das ist keine Erhöhung.«
»Weil du nicht verstehen willst, wie weitreichend diese Gabe ist, Saskia.« Er beugte sich vor. »Nicht einen Bruchteil hast du verstanden«, sagte er anklagend. »Du hast in deiner eingeschränkten Sicht nur das Schlechte gesehen, das Brachiale, das leicht abzurufen ist. Ich aber habe Menschen mit dieser Gabe zu überragenden Führern von Stämmen, Völkern und Nationen gemacht!«
»Bien sur«, meinte Justine belustigt.
Sein Mund wurde schmal. Anscheinend hatten sie einen wunden Punkt getroffen. »Was wärt ihr Menschen ohne Autorität?«, fragte er herausfordernd. »Ein Haufen Wilder, der lebt, um zu jagen, zu ficken und zu sterben, der irgendwann einmal zufällig etwas an die Wand schmierte, was man heute für Kunstwerke hält und darin damals wie heute seine Überlegenheit gegenüber den Tieren erkennen möchte.« Er öffnete eine zweite Dose Cola. »Die Gabe öffnet nicht nur Portale. Sie kann Situationen, Konflikte und Spannungen öffnen, Auswege zeigen, Menschen zum Nachdenken bringen.«
»Manipulieren«, fiel ihm Saskia ins Wort.
»Nein. Katalysieren«, präzisierte er. »Wenn sie weise eingesetzt wird, eröffnet sie in Verhandlungen großartige Möglichkeiten und Lösungen, weil sie den Verstand der Menschen öffnet und sie nicht engstirnig auf einer Sache beharren lässt.« Levantins Augen bekamen einen goldenen Schimmer. »Wann immer in der Geschichte vom Charisma berühmter Staatsmänner die Rede ist, kannst du davon ausgehen, dass es nicht von ungefähr kam. Glaubst du wirklich, ein Mensch wie Gandhi hätte es nur wegen seiner Gewaltlosigkeit so weit gebracht?« Er seufzte. »Du hast deine Gabe einfach nicht verstanden.«
»Soweit ich weiß, war Gandhi kein Fechter«, merkte Justine an. »Wie soll er das Zeichen bekommen haben?«
»Wer sagt, dass er Besuch von mir hatte?«, gab Levantin lässig zurück. »Ich bin nicht der einzige Wanderer, der in dieser Welt gefangen ist.«
Justine schnaubte. »Lass mich raten: Einer von euch ist ein Tätowierer geworden, richtig? Und hinter diesem merkwürdigen Trend des Brandings steckt etwas ganz anderes?« Levantin zuckte mit den Schultern. »Gar kein so abwegiger Gedanke.«
Saskia merkte, wie ihre Überzeugungen ins Wanken kamen. Sie rief sich ins Gedächtnis, dass man Levantin nicht trauen konnte, ganz egal, was er nun war und was nicht. »Ich habe keine Antwort bekommen«, erinnerte sie ihn.
Er lächelte sie an. »Wenn du deine Gabe wirklich loswerden willst, sage ich dir das - in dem Moment, in dem ich durch das Portal schreite.«
Er ließ sich von ihr das Buch des Mönchs und die beiden Seiten aus dem Villensafe geben. Dafür stellte er Wills Satellitentelefon auf den Tisch, nickte ihnen zu, erhob sich und ging nach vorn in die Pilotenkanzel. »Falls der Sir anruft«, sagte er im Gehen und war verschwunden. Justine sah Saskia an. »Und?«
»Wir machen mit.« Sie nahm das Handy und ging zur Toilette, um unbelauscht telefonieren zu können. »Aber wir spielen nach meinen Regeln.«
XXIV. KAPITEL
19. November
Unbekannter Luftraum
Als Saskia telefonieren ging, blieb Justine allein mit ihren Gedanken zurück; schreckliche Gedanken, verwirrend und kompliziert. Sie hasste Levantin, durfte ihn jedoch nicht umbringen, obwohl sie kaum einen sehnlicheren Wunsch verspürte.
Justine ekelte sich vor sich selbst. Mit dieser Kreatur hatte sie geschlafen, und es halle ihr auch noch gefallen! War das vor oder nach dem Mord an den Schwestern gewesen? Nein, sie durfte sich diese Fragen nicht stellen, um sich selbst zu schützen.
Levantin kehrte unvermittelt zu ihr an den Tisch zurück. Er blieb neben ihr stehen, griff in die Sakkotasche und hatte etwas in seiner Faust. »Ehe ich es vergesse: Ich habe ein Geschenk für dich.«
»Steck es dir in deinen ...«
»Du wirst es mögen.« Levantin legte es vor ihr hin.
Justines Mund klappte auf. Vor ihr lag der Rosenkranz von Faustitia. Sie erkannte ihn sofort, jede kleine Perle, jede Riefe, jede Feinheit im Kruzifix.
»Ich habe es reinigen lassen«, hörte sie Levantin sagen. »Und den hier auch.« Dem Rosenkranz folgte Faustitias Siegelring. Niemals hätte sie sich freiwillig davon getrennt. Damit war der letzte Rest Hoffnung auf ein
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