Blutprinz (German Edition)
steht.“
„Ich danke Euch“, antwortete André.
12.
Wien, 15 Mai 2007
D as Klingeln des Handys riss Natalie aus dem Schlaf.
„Natalie? Was ist los mit dir? Ich versuche dich seit drei Stunden zu erreichen“, schallte Tinas schrille Stimme aus dem Lautsprecher.
„Verdammt“, fluchte Natalie. „Wie spät ist es?“
„Kurz vor Mittag.“
Natalie nahm das Handy vom Ohr, schielte mit verschwommenem Blick auf den winzigen Bildschirm.
„Verdammt“, wiederholte sie und sprang aus dem Bett. Sie hatte verschlafen. „In einer halben Stunde kommt Kingston wegen des Projektabschlusses.“
„Ja, ich weiß …“
Natalie legte auf und eilte ins Bad. In Rekordzeit duschte sie, trank Kaffee, putzte sich die Zähne und verließ fünfzehn Minuten später die Wohnung. Auf dem Weg ins Erdgeschoss knöpfte sie die Jacke zu und zupfte die letzten Haarsträhnen zurecht. Draußen blieb sie einen Moment stehen und atmete die Frühlingsluft ein. Belebt von den wärmenden Sonnenstrahlen eilte sie zur nächsten U-Bahn-Haltestelle am Stadtpark Schönbrunn.
Als sie die Treppen zum Bahnsteig hinunter lief, fuhr der Triebwagen gerade in die Station ein. Im Wagon erwischte sie den letzten freien Sitzplatz. Kurz bevor sich die Türen schlossen, sprang ein Mann in den Wagon. Er war groß, hatte eine athletische Statur und schwarzes, kurzes Haar, trug einen schwarzen Anzug und eine Sonnenbrille. Das wäre um diese Zeit in der Wiener U-Bahn nicht so außergewöhnlich gewesen, doch er sah sie einen Augenblick zu lang an und das bereitete ihr Unbehagen. Vielleicht bildete sie es sich aber nur ein. Der Möchtegern-FBI-Agent stand aufrecht wie eine Wachspuppe und versank nicht wie die üblichen Geschäftsmänner hinter einer Zeitung. Seine Augen mochten sich hinter einer Sonnenbrille verbergen, dennoch glaubte sie zu spüren, wie sein Blick auf ihr ruhte. Sie wurde zunehmend nervöser. Um sich möglichst unauffällig zu verhalten, starrte sie auf die Karte des Wiener U-Bahn-Netzes. Es war jedoch nicht die Karte, die Natalie interessierte, sondern die Spiegelung des Wagons, die sich in der Scheibe unterhalb des Linienplanes abbildete, wie eine verblasste Scheinwelt der Realität. Auf diese Weise konnte sie den Kerl beobachten, ohne dass er es merkte.
Am Karlsplatz stieg sie aus ohne sich umzusehen. Mit raschen Schritten durchquerte sie ein Stück der unterirdischen Passage der Haltestelle, rannte die stehende Rolltreppe hinauf und durch die Tore des historischen Stadtbahnpavillons auf den belebten Karlsplatz. Mit klopfendem Herzen tauchte sie in eine Gruppe Touristen ein. Für einen Moment hielt sie inne und schaute zu den Türen des Bahnhofes. Von dem Kerl im Anzug war nichts zu sehen. Vom Karlsplatz konnte sie auch ein Stück der Staatsoper erkennen, hinter der die Kärntnerstrasse und damit der Zugang zu André Barovs Wohnung lag. Die Erkenntnis, wie nah sie seinem Penthaus war, versetzte ihr einen schmerzlichen Stich. Als sie den Karlsplatz überquerte, sah sie noch einmal über die Schulter und sah, wie der sonnenbebrillte Mann das Bahnhofsgebäude verließ und ihr mit großem Sicherheitsabstand folgte. Nun hatte sie keine Zweifel mehr. Der Mann war ihr tatsächlich auf den Fersen und beobachtete sie. Sie versuchte, ihn abzuschütteln, doch es war, als wäre sie wie durch ein Gummiband an den Mann gebunden. Er bewegte sich, wenn sie sich bewegte und blieb stehen, wenn sie stehen blieb, wobei er von Schatten zu Schatten eilte. Endlich kam sie zu ihrem Büro. Als sie die Tür hinter sich ins Schloss warf, atmete sie tief durch.
Das Gebäude war ein altes, auf den ersten Blick etwas heruntergekommenes Haus. Der Besitzer gab sich alle Mühe, das Haus zu renovieren. Dennoch erweckten die in die Jahre gekommenen Korridore und das Treppenhaus, an dessen Wänden der Putz bröckelte und in dessen Luft ein schwerer, nach Schimmel riechender Dunst hing, einen falschen Eindruck. Die eigentlichen Büros waren sorgfältig saniert worden und bildeten einen Kontrast zu den Gängen. Sie hatten für die Zeit nach der Unternehmensgründung vor allem ein günstiges Büro in guter Lage gesucht und nach ihrem Erfolg bei WBS-Soft war es bald an der Zeit, in ein moderneres, repräsentativeres Büro zu ziehen. Bei dem Gedanken an die Nähe zu Andrés Wohnung wünschte sich Natalie den Umzug noch rascher herbei. Mit einem flauen Gefühl im Bauch ging sie zur Treppe und blickte dabei immer wieder über ihre Schulter.
In den Büroräumen endlich
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