Blutprinz (German Edition)
das sie nach dem Tod ihrer Eltern verkauft hatte. Der gemähte Rasen leuchtete saftig grün und in den zahlreichen Blumenbeeten wuchs eine bunte Blumenpracht.
Natalie ging zur Zimmertür. Ein würziger Duft von gebratenem Fleisch umspielte ihre Nase, während sie aus ihrem Zimmer auf den Flur trat. Sie hörte Schritte im Untergeschoss und gedämpfte Stimmen, deren Klang ein prickelndes Gefühl von kindlicher Vorfreude auslöste. Auf Zehenspitzen lief sie den Korridor entlang, blickte über das Geländer des Treppenabganges. Sie hörte den metallischen Klang von Kochgeschirr und das Lachen ihrer Eltern.
Zögernd stieg sie die Stufen hinunter. Auch wenn es nur ein Traum war, freute sie sich, ihren Eltern zu begegnen.
Sie sah durch den Spalt in der Tür die breiten Schultern ihres Vaters und die zierliche Gestalt ihrer Mutter. Nebeneinander standen sie am Herd und kochten, scherzten und lachten. Natalie schlüpfte durch den Türspalt. Beinahe synchron wandten ihre Eltern die Köpfe in ihre Richtung, schenkten ihr jenes Lächeln, das ein Gefühl von Geborgenheit in ihr erweckte, wie sie es seit deren Tod nicht mehr verspürt hatte.
„Hallo, Kleines“, sagte Vater mit ruhiger Stimme. „Du warst in deinem Zimmer eingeschlafen und wir wollten dich nicht wecken.“
„Ich hoffe, du hast Hunger. Es gibt bald Essen.“ Ihre Mutter nahm eine Pfanne mit Bratkartoffeln vom Herd.
Unsicher betrachtete Natalie ihre Eltern.
„Was hast du?“, fragte Vater, während er das Backrohr öffnete und den Keramiktopf mit einem duftenden Braten auf die Arbeitsplatte hob.
Natalie schüttelte den Kopf. „Ist das hier ein Traum?“
Ihr Vater kam auf sie zu, sank auf die Knie und schaute Natalie tief in die Augen. „Bist du krank? Du siehst blass aus.“ Er legte die Hand auf ihre Stirn. Natalie fühlte die Wärme seiner Haut. „Fieber hast du nicht.“
Sie musterte das Gesicht ihres Vaters, die glatt rasierte Haut und die weichen Linien, in denen sich trotz seines Alters keine Falten abzeichneten.
Vater umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen. „Du schaust aus, als hättest du einen Geist gesehen, Kleines. Und was ist mit deinen Zähnen?“ Mit nachdenklichem Blick betrachtete er ihren Mund, berührte mit seinem Zeigefinger die scharfe Spitze der zierlichen Vampirfänge. „Doris, schau mal“, sagte er. „Unsere Tochter ist ein Vampir.“
„Ich weiß“, antwortete Mutter gelassen. „Es war ihre Entscheidung.“
„Ach?“ Vater stand auf. Als wäre nichts gewesen, hob er das gebratene Stück Fleisch mit einer Gabel aus dem Keramiktopf und legte es auf ein Schneidebrett.
„Bin ich tot?“, fragte Natalie.
„Wie kommst du darauf?“ Mutter verteilte die Bratkartoffeln auf die Teller.
„Weil ich längst erwachsen bin und ihr …“ Ihre Stimme wurde leiser. „Ihr seid schon vor Jahren gestorben.“
„Sind wir das?“ Mutter kostete ein Kartoffelstück. „Also, ich fühle mich im Moment noch recht lebendig. Was ist mit dir, Alexander?“
„Hm.“ Vater umarmte Mutter, küsste sie flüchtig. „Nein, fühlt sich nicht an, als wärst du tot.“
Natalie setzte sich an den Esstisch.
„Wir leben. In einer körperlosen Welt. Aber auch in deiner Erinnerung, in deinen Gedanken und deinem Unterbewusstsein. Wir sind immer bei dir, Schatz“, sagte ihre Mutter. „Nein, du bist nicht tot. Dein Körper schläft nur, er braucht Ruhe.“
„Also habe ich die Verwandlung überlebt?“
„Du hast das Schlimmste überstanden.“ Ihre Mutter stellte die Teller auf den Tisch und Vater brachte eine Schüssel mit grünem Salat.
„Denkt ihr, ich habe richtig entschieden?“
Ihre Mutter nickte. „Dein Herz hat entschieden und die Liebe geht oft seltsame Wege. Und so ein feuriger Vampir hat auch seine Vorzüge.“
„Hey, das hab ich gehört“, protestierte Vater.
„Keine Sorge, dich kann auch kein Vampir mehr übertreffen.“ Sie zwinkerte ihm zu und grinste spitzbübisch.
30.
London, 18. Juni 2007
E r kniete an Marys Grab, als zwei schwarze Limousinen vorfuhren, die Türen aufsprangen und Gerald Vermont begleitet von vier Agenten über den Friedhof kamen.
James Graham grub weiter in der Erde und tauschte die verwelkten Blumen durch frische Setzlinge aus. Es machte keinen Sinn mehr zu fliehen. Seine Identität war aufgedeckt und mit der Nachricht, von André Barovs möglicher Vermählung mit einer Halbblüterin hatte er den Krieg endgültig verloren. Sein zweites Ich hatte zu hoch gepokert. Durchtränkt von
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