Blutrausch
Sorgen um mich machst. Das ist toll, und ich weiß es echt zu schätzen. Mir ist klar, dass das für dich nicht selbstverständlich ist. Aber im Moment wäre ich froh, wenn du einfach aufhören würdest, mir auf den Scheißwecker zu gehen.
Sie beugt sich zu mir herunter und gibt mir einen Kuss. Dann nimmt sie ihre Tasche und geht die Treppe zum Erdgeschoss hoch.
– Pass auf dich auf, Baby.
Böser Fehler. Sie bleibt auf der Treppe stehen, lässt den Kopf sinken, atmet hörbar aus und dreht sich zu mir um.
– Joe, ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen. Und zwar auf meine Art. Das heißt, ich genehmige mir ein paar Drinks, wenn es mir passt, ohne mich um meinen Blutzucker zu kümmern. Und das heißt auch, dass ich mich nicht dazu zwingen werde, etwas zu essen, wenn ich die gottverdammten Pillen nehme. Ist das klar? Hast du das verstanden? Wenn nicht, weißt du ja, was du mich kannst. Keine Verpflichtungen, Joe. Das ist doch dein Motto. Du warst nicht da, als ich krank wurde, und ich erwarte auch nicht, dass du mich bis zum Ende begleitest. Aber wenn du in der Zwischenzeit an meinem Leben teilnehmen oder es sogar mit bestimmen willst, dann musst du mich erst mal an deinem Leben teilnehmen lassen. Bis dahin hör mit dem Scheißgenörgel auf. Dafür hab ich meine Mutter. Ich kann gut darauf verzichten, dass mein verdammter Freund auch noch damit anfängt.
Sie stampft die Treppe hoch und knallt beim Rausgehen lautstark die Tür zu.
Ich lege mich zurück aufs Bett und nehme einen tiefen Zug. Als ich den Rauch gegen die Decke blase, muss ich lächeln. So bin ich eben. Ich liebe es, wenn sie mich ihren Freund nennt. Und das tut sie nur, wenn sie richtig sauer ist.
Ich weiß, das klingt krank. Ich gehe meiner HIV-positiven Freundin so lange auf die Nerven, bis sie angepisst genug ist, um zu vergessen, dass wir eigentlich kein Paar sind und mich ihren Freund nennt. Andererseits ist unsere ganze Beziehung krank, angefangen mit der Tatsache, dass wir keinen Sex haben. Das macht ihr ganz schön zu schaffen. Dass wir zusammen sind, ohne miteinander zu vögeln, ist eine schwere Last für sie. Ich kann das verstehen. Dafür braucht man keinen Doktortitel in Quantenphysik. Sie hat einfach Angst, mich anzustecken. Kondome, Femidom – nichts davon ist ihr sicher genug, um über Knutschereien, Kuscheln und einen Handjob hinauszugehen. Leider darf ich ihr nicht erzählen, dass sie mich niemals infizieren könnte. Niemand kann das. Es gibt weiß Gott keinen Erreger auf dieser schönen Erde, der mir noch was anhaben könnte. Dafür ist es zu spät. Ich bin bereits so krank, wie man es nur sein kann. So ziemlich jedenfalls. Nachdem sich das Vyrus in meinem System eingenistet hatte, wurde ich immun gegen alles andere. Jedes normale Virus, jedes Bakterium, das auch nur versucht, an meine Tür zu klopfen, bekommt vom Vyrus einen richtig saftigen Arschtritt verpasst.
Ich kann gut ohne Sex leben. Okay, das war jetzt gelogen. Eigentlich finde ich die Tatsache, dass wir keinen Sex haben, ziemlich unerträglich. Schon als ich Evie heute Morgen beim Anziehen beobachtet habe, wäre ich fast die Wände hochgegangen. Aber ich komme klar. Muss ich ja. Nicht wegen ihrer Krankheit, sondern wegen meiner. Ich weiß nicht, ob sich das Vyrus beim Sex überträgt, aber das Risiko will ich nicht eingehen. Nicht, wenn es bedeutet, dass ich Evie mit einem Organismus infiziere, der ihr Blut kolonisiert und gnadenlos alles rausfiltert, was es brauchen kann. Ein Organismus, der immer hungrig ist. Der immer mehr will. Wenn dein Blut nichts mehr hergibt, schickt er dich auf die Jagd. Und jagen wirst du, Sportsfreund. Und wie du jagen wirst. Die Alternative dazu? Es fühlt sich an, als würden deine Eingeweide kochen. Du krümmst dich vor Schmerzen. Dagegen ist alles, was Evie in den nächsten Jahren bevorsteht, Kinderkram. So ist das nun mal.
Dass das Vyrus sie von dem HIV heilen würde, spielt keine Rolle. Dass sie so lange leben könnte, wie sie wollte, wenn sie nur das Vyrus füttert, ebenfalls nicht. Wir könnten immer zusammen sein und nach Herzenslust vögeln. Auch egal. Das alles ist nicht wichtig. Denn so etwas erzählt man nicht der Frau, die man liebt. Man stellt einen geliebten Menschen nicht vor eine so schwere Entscheidung. Man muss Manns genug sein, sie für ihn zu treffen.
So, jetzt weiß jeder Bescheid, was ich bin. Oder besser gesagt, was ich nicht bin.
Zugegeben, unsere Beziehung ist wirklich krank. Insofern passt sie perfekt
Weitere Kostenlose Bücher