Blutrausch
zum Rest meines Lebens. Aber wessen Leben ist schon ein Zuckerschlecken?
Evie weiß nichts von alledem. Genau genommen weiß sie nicht die Bohne über mich. Wir sind seit drei Jahren zusammen, und ich habe noch immer Geheimnisse vor ihr. Das ist ein wunder Punkt in unserer Beziehung. Sie hat keine Ahnung, aber sie ist neugierig. Und dazu hat sie weiß Gott allen Grund. Zum Beispiel: Warum habe ich zwei Apartments gemietet, eins im Hochparterre und eins im Souterrain darunter? Warum habe ich die Tür der Souterrainwohnung vernagelt und eine Klappe in der unteren Hälfte angebracht, durch die ich im Notfall verschwinden kann? Warum ist die kleine Wendeltreppe, die vom Wohnzimmer der Parterrewohnung ins Souterrain führt, unter einer verborgenen Falltür versteckt? Und warum, um alles in der Welt, wohne ich in der winzigen Souterrainwohnung, wo das einzige Fenster zugemauert ist, und nicht in der geräumigen Wohnung darüber? Sie hat mir zumindest abgekauft, dass es wegen meiner Arbeit ist, dass ich mir ein paar Feinde gemacht habe. Aber sie würde natürlich gern erfahren, was ich denn eigentlich arbeite. Sie weiß, dass ich im Viertel so etwas wie der Mann fürs Grobe bin. Ich treibe Schulden ein, mache ein bisschen Detektivarbeit, solche Sachen eben. Aber das erklärt immer noch nicht meinen Sicherheitsfimmel, den Geheimraum, die vielen Schlösser an der Tür und die Alarmanlage. Aber was bleibt mir übrig? Ich kann ihr ja schlecht von den Van Helsings erzählen, die ganz heiß drauf sind, einen wie mich vor die Flinte zu kriegen. Selbstgerechte Arschlöcher, die dich mit Weihwasser vollspritzen und einen Pflock durch dein Herz jagen wollen. Das Weihwasser macht mir nichts aus, der Pflock jedoch schon. Scheiße, ein Pflock durchs Herz würde ja wohl jeden ins Jenseits befördern. Dabei wäre so etwas gar nicht nötig. Ein paar Kugeln täten’s auch. Wie gesagt, das kann ich ihr nicht erzählen. Natürlich glaubt sie mir den Scheiß nicht von wegen, ich hab Feinde, Baby. Wahrscheinlich vermutet sie, dass ich deale.
Drogen würden vieles erklären. Meinen Sicherheitswahn. Meine tief sitzende, alles umfassende Paranoia. Warum ich keinen normalen Job habe. Und nicht zuletzt den Minikühlschrank mit Vorhängeschloss, der in meinem Kleiderschrank steht. Vermutlich ist sie inzwischen der festen Überzeugung, dass sie da drin eine ganze Palette exotischer Pharmaprodukte finden würde, die man ganz bestimmt nicht bei jedem dahergelaufenen Wald-und-Wiesen-Dealer um die Ecke kaufen kann. Mein Stoff ist ja auch wirklich da drin, insofern vermutet sie richtig. Nur wird keiner high davon, es sei denn, er ist so gestrickt wie ich. Eineinhalb Liter Blut eines gesunden Menschen, gemischt mit den notwendigen gerinnungshemmenden Mittelchen. Eineinhalb Liter. Drei Liter weniger als meine absolute Minimalreserve. Beim Gedanken daran wird mir ganz anders.
Mit Drogen hätte Evie kein Problem. Aber Menschenblut? Da würde sie richtig ausflippen.
Schon seltsam, dass für sie eine meiner absonderlichsten Eigenheiten am einfachsten zu erklären ist. Warum ich tagsüber nie vor die Tür gehe? Urticaria Solaris. Sonnenallergie. Wenn ich an die Sonne gehe, wirft meine Haut Blasen und ist nicht mehr in der Lage, meine Körpertemperatur zu regulieren. Dann werde ich bewusstlos und Schlimmeres. Das hat sie geschluckt. Warum auch nicht? Sie hat im Internet darüber gelesen. Außerdem ist es ja von der Wahrheit gar nicht so weit entfernt. Ich habe wirklich eine Sonnenallergie. Aber eine Dosis UVA hätte nicht nur einen Ausschlag und eine Ohnmacht zur Folge. O nein. Das Vyrus würde verrückt spielen. Tumore würden meinen Körper als Tummelfeld benutzen. Knochenkrebs, Magenkrebs, Zungenkrebs, Hirnkrebs, Prostatakrebs, Hautkrebs – ich würde mir jeden nur erdenklichen Krebs einfangen. Scheiße, wahrscheinlich sogar Augenkrebs. Sie würden ein Wettrennen veranstalten, wer mich als Erstes um die Ecke bringt. Könnte so etwa fünfzehn Minuten dauern. Außer natürlich, es ist ein wirklich sonniger Tag. Dann wäre in wenigen Minuten nichts als ein großer Haufen Krebszellen übrig. Biopsieergebnis: Ein riesiger Tumor mit ein paar Zähnen drin.
Ich habe es noch nie mit eigenen Augen gesehen. Aber die Geschichten, die ich gehört habe, reichen, um auf einen Strandurlaub zu verzichten. Deswegen bleibe ich tagsüber lieber zu Hause.
Irgendwie muss ich die Zeit totschlagen.
Ich dusche und rasiere mich. Dann gucke ich meine DVDs durch und
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