Blutrausch
bewusst, und mir ist auch bewusst, dass ich es mir nicht leisten kann, ihn noch einmal zu verprellen. Wir können also die Anwendung einer so hohen Dosis als leere Drohung zu den Akten legen.
Sie drückt auf die Spritze, und ein dünner Blutstrahl spritzt gegen meine Brust. Der Gestank sticht mir in die Nase.
– Jetzt ist es an Ihnen, eine Entscheidung zu treffen.
Sie hält die Spritze hoch.
– Entscheiden Sie sich für diese Menge? In dem Fall werde ich mir meine Fragen aufsparen, bis Sie sich wieder erholt haben und mich um eine weitere Dosis anflehen.
Sie legt einen Fingernagel auf die Seite der Spritze und deutet damit eine geringere Menge Anathema an.
– Oder ist das Ihre Wahl? In dem Fall werde ich Sie verhören, wenn Sie nach der schmerzhaften Süße Anathemas noch mehr davon verlangen.
Sie lässt die Spritze sinken.
– Oder soll ich Ihnen meine Fragen ohne weitere Umschweife jetzt sofort stellen? In der Gewissheit, dass Sie mir gegenüber absolut ehrlich sind? Und dass Sie um den Preis wissen, den Sie für jede Unaufrichtigkeit bezahlen müssen?
Sie zeigt mir noch einmal die Nadel.
Ich reibe mit dem Kinn an meiner Schulter.
– Also, Mrs. Vandewater. Jetzt haben Sie ja ziemlich lange gebraucht, um durch die Blume zu sagen: Erzählen Sie mir, was ich wissen will, sonst sitzen Sie ganz tief in der Scheiße.
Sie wartet ab.
Ich verdrehe die Augen.
– Ich weiß nicht, worauf Sie warten. Ich hab Ihnen bereits gesagt, dass Sie mich am Arsch lecken können.
Jemand klopft an die Tür. Einer der Maschinenpistolenjungs öffnet. Er nickt Vandewater zu.
Sie legt die Spritze auf den Tisch. Der Junge, der ihr zur Hand geht, schließt den Koffer voll Anathema.
Sie steht auf.
– Ein wichtiger Bestandteil der hohen Wirksamkeit Anathemas ist die Tatsache, dass es nur begrenzt haltbar ist. Es muss nach der Gewinnung sofort verteilt werden. Diese Lieferung ist für den Hood bestimmt. Der Kurier wartet bereits.
Sie geht zur Tür.
– Aber keine Sorge, die Dosis in der Spritze wird lange genug vorhalten, um ihren Zweck zu erfüllen. Tatsache ist, dass ein paar Minuten Reifezeit sie nur noch effektiver machen.
Eskortiert vom Kofferträger und einem Maschinenpistolentypen verlässt sie den Raum.
Mein Blick wandert von der Spritze auf dem Tisch zu dem Maschinenpistolenjungen und dem Zungenschnipsler, die hiergeblieben sind. Dann wieder zur Spritze. Keine Angst, wenn die Zeit kommt, werde ich wie ein kleines Kind darum betteln, dass sie sie nicht in meinen Arm stecken.
Ich bin ein toter Mann. Und zwar nicht in dem Sinne, in dem ich die ganze Zeit schon ein lebender Toter bin. Wenn Predo mich erst mal in die Finger bekommt, wird es statt zivilisierter Gespräche Prügel und Verhöre geben. Danach erwartet mich mein erster Sonnenaufgang seit einem Vierteljahrhundert. Eigentlich ein schöner Anblick, der jedoch durch die Tatsache, dass meine Augenlider dabei schmelzen, etwas getrübt werden wird. Dass ich dann von dieser Scheiße abhängig bin, wird mein geringstes Problem sein. Das Beste wird wohl sein, ich entscheide mich für die leichte Dosis. Wenn mich die gute Frau vor dem Ende noch mal ins Nirvana schicken will, nur zu. Oder, ich beantworte ihre Scheißfragen sofort. Ich muss ja niemanden decken. Digga bin ich nichts schuldig, und über seine Aufmarschpläne kann ich ihr sowieso nicht viel erzählen. Aber sie wird es nicht beim Hood belassen. Davon ist sie zwar besessen, aber früher oder später wird sie die Society aufs Tapet bringen. Aber auch die ist mir ziemlich egal. Wieso auch nicht? Der einzige Grund, warum ich dort wohne, ist, dass mir das Viertel gefällt. Werde ich Terry verraten? Klar doch, kein Problem. Ja, das Beste ist wohl wirklich, ich bringe sie dazu, mir ein bisschen von dem Scheiß zu schießen, um dann mit einem Grinsen auf dem Gesicht abzutreten. Wer weiß, vielleicht finde ich ja wirklich ein paar Antworten in dieser Spritze. Das möchte ich zwar bezweifeln, aber manchmal kann eine Lüge süßer sein als die Wahrheit. Eigentlich ist das in neun von zehn Fällen so. Alles in allem habe ich keinen Grund, jetzt den harten Mann zu markieren. Ich bin ein toter Mann, und die Lady überlässt mir die Entscheidung, wie heftig mein Abgang sein wird. Die meisten Leute haben nicht so viel Glück. Also wie gesagt, kein Grund, den harten Mann zu markieren. Ich hab keine Geheimnisse, die ich nicht ausplaudern dürfte. Niemanden, den ich beschützen muss. Ich glaube, eine bessere Chance als
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