Blutrausch
gespaltenen Zunge betupft sich seine Wunde, die inzwischen aufgehört hat zu bluten, mit einem Wattebausch. Schorf bildet sich darauf. Der andere legt sein Besteck beiseite. Gemeinsam rollen sie die Plastikfolie mit dem Latino darin zusammen.
Vandewater macht ihnen Platz.
– Jetzt müssen wir es noch einmal versuchen.
Die Tür öffnet sich. Ein weiterer junger Mann mit einem Sack über dem Kopf wird hereingebracht.
– Der Körper eines Studenten ist eine unschätzbare Ressource.
Der Neue wird auf eine frische Plastikfolie gelegt. Der schwarze Sack wird abgenommen. Er ist so um die zwanzig. Arabisch, würde ich vermuten. Er trägt Khakihosen und ein Hemd.
– Sie sind zum ersten Mal weit weg von zu Hause und fallen in tiefe Depressionen. Sie ziehen sich zurück. Ihr Verhalten ändert sich. Sie lassen sich auf Drogen ein, verpassen ihre Kurse. Streunen nach Mitternacht durch verrufene Parks. Verüben Selbstmord.
Die beiden Burschen machen sich daran, die ganze Prozedur zu wiederholen. Diesmal vertauschen sie die Rollen, und der andere streckt die Zunge heraus.
– Besonders die Erstsemester. Sie sterben wie die Fliegen.
Noch mehr Zungenschnippelei.
– Noch dazu, wenn sie einer rassischen Minderheit angehören. Sie sind so ehrgeizig, besonders die Asiaten und diejenigen aus dem mittleren Osten. Ihr Streben nach Erfolg, der ständige Erwartungsdruck, unter Umständen kann ein junger Mann daran zerbrechen.
Dieser Kerl zuckt und zittert ebenfalls, aber der Schaum aus Mund und Nase bleibt aus. Stattdessen sieht man an den Schluckbewegungen seiner Kehle, dass er das infizierte Blut aus der gespaltenen Zunge seines Gegenübers saugt.
Vandewater beugt sich vor, um besser sehen zu können.
– Ah. Endlich eine Übereinstimmung.
Nach ein paar Sekunden zieht sich der Bursche zurück. Der Mund des Arabers öffnet und schließt sich. Seine Zunge fährt über die Lippen, um das Blut daran abzulecken. Seine Augen sind geöffnet und starren glasig und ausdruckslos an die Decke.
Vandewater nähert sich dem Kerl, baut sich über ihm auf und studiert sein Gesicht.
– Dieser hier hat ein großes Potenzial. Er könnte Bemerkenswertes leisten.
Die Jungen nehmen das Besteck aus der Aktentasche.
– Mit der richtigen Pflege und einer harten Hand, die sich um ihn kümmert, könnte tatsächlich etwas aus ihm werden. Ein Forscher, der eines Tages alle Geheimnisse des Vyrus entschlüsselt. Ein Politiker und Staatsmann, der die Clans vereinigt. Ein Poet, der unser mit Mühsal belastetes Schicksal in Verse fasst. Ein tüchtiger Soldat, bereit, sich für kommende Schlachten zu rüsten.
Einer der Jungen packt den Arm des Arabers und steckt eine Injektionsnadel in eine Vene.
– Aber das wird nicht passieren. Ich werde es nicht zulassen.
Die Nadel wird an einer Spritze befestigt, und Blut strömt in einen der Plastikbeutel, die sie bereithalten.
– Ich werde weder Schwarze noch Gelbe auf meinem Grund dulden. Einst haben wir ihnen ihren rechtmäßigen Platz zugewiesen. Aber sie haben uns verraten. Eine zweite Chance werden sie nicht bekommen.
Der Beutel ist gefüllt. Einer der Jungs schließt das Ventil am Ende des Gummischlauchs, nimmt den Beutel weg und ersetzt ihn durch einen frischen. Dann fließt das Blut wieder.
– Wissen Sie, was Sie da gerade beobachten?
Ich schüttle den Kopf.
– Woher auch? Sie sind Zeuge, wie eine Waffe entsteht. Eine sehr alte Waffe.
Ein weiterer Beutel ist gefüllt und wird ersetzt.
– Obwohl sie noch niemals zuvor auf diesem Wege eingesetzt wurde. In der Vergangenheit war sie nicht mehr als ein Laster. Zugegeben, ein sehr gefährliches Laster. Riskant und exklusiv.
Der nächste Beutel.
– Man fragt sich, woher der ursprüngliche Einfall kam, wer mit den Fingern geschnippt und Heureka! gerufen hat.
Sie hebt einen der gefüllten Beutel auf.
– Wahrscheinlich war es ein Unfall.
Sie geht auf mich zu.
– Ich nehme an, dass ein vor Hunger halb wahnsinniger Vampyr versucht hat, das Blut eines Menschen zu trinken, der nur kurze, sehr kurze Zeit davor infiziert worden war. Durch eine seltsame Verkettung von Umständen muss dieser Vampyr nur eine winzige Menge davon genossen haben. Und da machte er eine Entdeckung.
Hinter ihr wird ein weiterer Beutel gefüllt.
– Der Genuss des Blutes eines frisch Infizierten bewirkt die bemerkenswertesten Sinneseindrücke. Bemerkenswert und in höchstem Maße süchtig machend.
Sie hebt den Zeigefinger.
– Es ist eine unglaublich teure Sucht,
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