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Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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für sie angefertigt hatte. Die surreale Stimmung, die aus der Zeichnung eines gespenstisch vor den endlosen Dünen stehenden Baumes sprach, ließ etwas von der befremdlichen Innenwelt dieses Kindes erahnen. Warum hatte Mara die Bilder zurückgelassen?
    Dann gab es das Bild von Mara und Oscar zusammen. Mara, die nach einem Ort suchte, an den sie gehörte; der stumme Junge, der sich nach Aufmerksamkeit verzehrte. Das Bild fing ihre Zerbrechlichkeit und Einsamkeit ein. Mara und Oscar. Sie hatten sich verstanden. Der kleine Junge wusste genau,
dass Mara ihre Bilder, ihre Erinnerungen auf gar keinen Fall zurückgelassen hätte.
    Nichts anderes hatte er Clare begreiflich zu machen versucht.
    Clare versetzte sich in den stillen, unbeachteten Jungen. Sie meinte vor sich zu sehen, wie er die Küchentür aufschob. Sie sah ihn durch den Flur huschen, ein stiller rothaariger Geist, und in Maras Zimmer verschwinden. Bestimmt hatte Oscar ihr Zimmer ausgeräumt vorgefunden, abgesehen von den Fotos in ihrem Geheimversteck. Er hatte sie Clare ausgehändigt, damit sie etwas unternahm.
    Clare betrachtete die Bilder noch einmal. Das letzte Foto, dem Datum in der Ecke zufolge sechs Wochen zuvor aufgenommen, zeigte Mara mit ihrem Team. In ihrem Gesicht strahlte das triumphierende Lächeln von jemanden, der den Selbstauslöser geschlagen hat. Sie stand verstrubbelt und jungenhaft inmitten der Gruppe, in hautenge Jeans gezwängt, und hatte die Arme um zwei der Jungen gelegt, die inzwischen tot waren. Bei dem Gedanken, dass der Killer, den sie jagte, dieselbe androgyne Ausstrahlung in Mara gesehen hatte, lief eine Gänsehaut über Clares Arme. Sie steckte den Umschlag in die Jackentasche zurück.
    Das Wasser rollte einen Fransenstreifen hinter dem Heck aus, bis das Boot schaukelnd neben der Alhantra zu liegen kam. Das Schiff lag hoch im Wasser, die Fische waren aus den Laderäumen gehievt worden. Eine Leiter baumelte wie eine Zunge seitlich herab. Oben stand Ragnar Johansson. Clare schluckte die Angst hinunter, die sich in ihrer Magengrube zu einer festen, kalten Kugel zusammengeballt hatte. Während sie die Hände an die Leiter legte und zu klettern begann, war sie in Gedanken bei Mara auf der Müllkippe, wo sie in Staub und Scherben Fußball spielte. So auf Liebe und Anerkennung bedacht. Sie sah sie im Geist eng umschlungen mit Juan Carlos und fragte sich, ob Mara sich ihm mit Haut und Haar überlassen
hatte, ob er ihr den allerhöchsten Preis abgefordert hatte, um seine eigene Einsamkeit zu lindern.
    Ragnars Freude, Clare wiederzusehen, war unübersehbar, als er ihr an Bord half; genauso wenig wie seine Enttäuschung, als Clare ihm den wahren Grund für ihren Besuch verriet. Er hatte gehofft, sie sei seinetwegen gekommen.
    »Warte hier«, sagte Ragnar, nachdem er Clare auf die Brücke eskortiert hatte. »Ich hole ihn für dich.«
    Ragnar stieg die steile Treppe in den dunklen Bauch des Schiffes hinab. Die Metalltüre quietschte, als er sie aufdrückte. »Juan Carlos!«, rief er in die düstere Kabine. Der Spanier lag in der obersten Koje. Er grunzte, sah aber nicht herunter, um festzustellen, wer ihn rief. »Du hast Besuch.«
    Juan Carlos wälzte sich auf den Rücken und boxte gegen die Metalldecke über ihm. Er leckte das Blut ab, das rot aus seinen Knöcheln sickerte, schwang dann die Beine über den Kojenrand, sprang behände wie eine Katze auf den Boden und folgte Ragnar auf die Brücke. Als er Clare Hart sah, erstarrte er, zog den Rosenkranz aus seiner Hosentasche und ließ die Perlen durch seine Finger gleiten, bis das Kruzifix ihn innehalten ließ. Der Rosenkranz war ein Geschenk von Mara. Wenn er das Holz an seine Nase hielt, flüsterte daraus die darin gespeicherte Hitze.
    »Du kennst doch Dr. Hart?«, fragte Ragnar.
    Juan Carlos nickte.
    »Wo ist Mara Thomson?« Clare hielt sich nicht mit Formalitäten auf.
    »In London.« Die Ader in der Mulde unter Juan Carlos’ Hals begann zu pulsieren. Er sah erst Clare an, dann Ragnar und dann wieder Clare. »Sie ist gestern abgeflogen.«
    »Sie ist jedenfalls nicht in London angekommen«, sagte Clare. In der Stille, die sich auf Clares Bemerkung hin breit machte, klang das Knarren des Schiffes noch lauter.
    »Vielleicht ist sie nicht zu ihrer Mutter gefahren«, versuchte es Juan Carlos. »Ihre Mutter macht sie verrückt.«

    »Sie hat am Flughafen nicht eingecheckt.« Clare baute sich vor ihm auf. »Wo ist sie?«
    »Ich weiß nix.«
    »Sie waren an dem Abend, bevor sie fliegen wollte,

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