Blutrose
unter den Arm.
»Du weißt, dass dieses ganze Debakel vermeidbar gewesen wäre, wenn du von Anfang an mit mir darüber gesprochen hättest?«
»Ich weiß.« In Riedwaans dunklen Augen blitzte der Zorn auf, den er so lange unterdrückt hatte. »Aber du wolltest ja keinen Zentimeter nachgeben. Ich versuche, die Sache mit Shazia und meiner Tochter wieder ein wenig zu kitten und unser Verhältnis zu normalisieren.« Riedwaan stieg ebenfalls aus. Er stützte sich auf das Autodach und hielt den Blick auf Clare gerichtet, bis sie das Gesicht abwandte. »Und mit dir möchte ich das auch«, ergänzte er leise.
»Riedwaan, so etwas lässt sich nicht kitten, und schon gar
nicht in den fünf Minuten, die mir bleiben, um meinen Flug zu erwischen. Vergiss es. Lass uns einfach diesen Fall klären.« Bevor Riedwaan etwas darauf erwidern konnte, war Clare durch die automatische Tür geeilt. Die Glastür glitt hinter ihr zu und ließ ihn mit seinem Spiegelbild und einigen Gepäckträgern allein, die mitleidig den Kopf schüttelten.
»Frauen«, meinte einer von ihnen bekümmert.
»Frauen«, bestätigte Riedwaan.
Um fünf Uhr früh am nächsten Morgen warf Riedwaan zwei Paar Jeans, vier saubere Hemden und Unterwäsche in die Motorradtasche. Er schob das Motorrad auf das Kopfsteinpflaster der Straße. Das Nebelhorn schnitt dröhnend durch den Dunst, der sich durch die schlafenden Vororte am Saum des Atlantiks stahl. In der Ferne das Jaulen von ein, zwei Automotoren. Clubgänger auf dem Heimweg. Riedwaans liebste Tageszeit. Er startete das Motorrad. Zwei Minuten, dann war er auf der Hochstraße über dem Hafen, wo die Baukräne reglos wie Kraniche am Wasserrand standen.
Riedwaan beschleunigte in Richtung Norden, wo sich die Straße in den klaren Morgen entrollte. Bis die Sonne aufging, hatte er schon den ersten Bergpass hinter sich gelassen, und das Grollen des Motors hatte seine Laune gehoben.
Als er auftankte, wurde es bereits heiß. Riedwaan sah auf seiner Karte nach. Noch etwa zweihundert Kilometer bis zur namibischen Grenze.
Drei Stunden später hatte er die Grenze überquert und fuhr durch den menschenleeren Süden Nambias. Noch mehr als tausend Kilometer nordwestlich von ihm lag, in der Wüste gestrandet, Walvis Bay.
35
Im kühlen Refugium seines Labors in Swakopmund griff Tertius Myburgh nach einem Stofflappen und wischte sein Mikroskop ab, obwohl seine Ausrüstung blitzblank war. Die präparierten Lösungen warteten auf ihn, beschriftet und geordnet. Sein Herz schlug schneller. Das tat es jedes Mal, bevor er in die geheimnisvolle Welt der Pflanzen eintauchte. Er nahm sich die Mitleid erregenden Kleiderbündel vor, die Clare Hart ihm dagelassen hatte. Die Schuhe der Jungen waren mit Pollen überzogen. Unsichtbare Hieroglyphen, mit denen sich die Reisen, die sie unternommen hatten, kartographieren ließen.
Er präparierte den ersten Objektträger, legte ihn auf den Objekttisch, beugte sich über das Okular und justierte das Objektiv, um die Pollenkörner scharf zu stellen. Er atmete tief aus. Sie schwebten vor seinen Augen, die Zellulosehüllen, in denen die zerbrechlichen männlichen Samen zu einer wartenden weiblichen Pflanze getragen wurden, falls es denn eine gab. Viel öfter strandeten sie auf einer unempfänglichen Oberfläche. Wie auf dem Schuh eines ermordeten Jungen. Myburgh bereitete den nächsten Objektträger vor, dann noch einen und noch einen. Er verglich die Pollen mit seinem gesammelten Bestand und hakte alle Gattungen ab, die den regenlosen Wüstenfrühling mit neuer Blüte empfingen.
Keine Sarcocornia . Die anspruchslosen, stummelfingrigen Pflanzen wuchsen überall in den flachen Brackwassern rund um die Lagune und in den Flussmündungen entlang der Küste. Sie waren noch etwa zwei Kilometer im Landesinneren zu finden. Falls diese Pollen an keinem der Schuhe zu finden waren, bedeutete das, dass der Kalvarienberg der Jungen tiefer im Landesinneren liegen musste.
Große Mengen von Tamarix- Pollen. Wenig überraschend, denn Tamarisken gab es reichlich im Kuiseb. Außerdem wuchsen
sie überall zwischen Kapstadt und Jerusalem. Das allein genügte nicht.
Es gab Spuren von Acanthosicyos horridus, den zu dieser Jahreszeit wachsenden Nara-Pflanzen, die vom Oranjefluss im Süden über die Dünen bis zum Kuiseb herüberkrochen. Die dornigen Melonen dienten dem Nomadenvolk der Topnaar und ihren Tieren als Nahrung, und das Wissen um die von Generation zu Generation weitergegebenen Standorte war in der Wüste
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