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Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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nicht minder wertvoll als die Kenntnis von geheimen Wasserquellen. Myburgh hielt inne und bewunderte die leicht erkennbaren Pollenwände mit ihren exquisiten Streifenmustern, die unter seinem Mikroskop aussahen, als hätte jemand mit den Fingern Meditationslinien durch Sand gezogen.
    Er stieß auf Trianthema hereroensis , eine zähe Pflanze, die vom Kuiseb aus in einem Gebiet bis etwa hundertfünfzig Kilometer weiter nördlich zu finden war. Die Überschneidungen der Verbreitungsgebiete waren ein klarer Hinweis auf das Kuiseb-Delta.
    Myburgh begann die Umrisse einer Karte für Clare Hart zu erahnen, aber er hatte noch nicht genügend Koordinaten. Eine unverwechselbare dreieckige Pollenart machte ihm zu schaffen. An allen vier Schuhpaaren hafteten diese Sporen. Er glich sie mit Clares gesammelten Pflanzen ab.
    Nichts.
    Er griff zu dem Klassiker Pflanzen und Pollen der Welt von Mannheimer und Dreyer und blätterte darin, bis er auf das Abgleichmuster stieß, das ihm helfen würde, diese spezielle Pollenart einzuordnen. Mit vor Angst trockener Kehle lehnte Myburgh eine Leiter gegen das Regal, um das oberste Fach zu erreichen, wo das fleckige, leinengebundene Buch stand, das er vor Monaten dort oben versteckt und dann zu vergessen versucht hatte. Er schlug Virginia Meyers blaues Notizbuch auf. Es war gefüllt mit ihren detaillierten Skizzen und ihren eng geschriebenen ethnobotanischen Aufzeichnungen,
den Erfahrungsschätzen von Spyt, dem argwöhnischen alten Topnaar, der alles mit ihr geteilt hatte, was er über die Pflanzen der Namib – diese geheimen Schatztruhen der Wüste – wusste. Myburgh blätterte darin herum, bis er zum letzten Eintrag gelangte. Zeiten, Abkürzungen, lateinische Bezeichnungen. Er ignorierte sie alle. Stattdessen öffnete er das Buch so weit wie möglich und strich mit einem Tupfer über den Falz. Die eingesammelten Spuren strich er auf einen Objektträger. In der Mitte der Glasscheibe blieb ein gelblicher Schmierfleck zurück. Er legte ihn auf den Trägertisch und presste sein Auge gegen das wieder kalt gewordene Okular. Mit zitternden Fingern justierte er das Objektiv. Mit magischer Präzision erschienen vor seinen Augen die unverkennbaren triangulären Pollen, perfekte gleichseitige Dreiecke.
    Myrtaceae: Eucalyptus. Der Geisterbaum.
    Der Wissenschaftler hob den Kopf und starrte auf die Brandung. Wieder hörte er Virginia Meyers weiche Stimme, die ihm von schmutzigen Geheimnissen erzählte und von komplexen Verschwörungen, auf die sie in der hitzegeprügelten Wüste gestoßen war. Er schloss die Augen und presste die Handflächen gegen die Lider, aber die Erinnerung an ein auf dem Dach liegendes Autos, dessen Räder sich vor dem blauen Himmel drehten, wollte einfach nicht weichen.
    Auf der Rückbank hängt Oscar, der Junge, in sprachlosem Schrecken gefangen in seinem Sicherheitsgurt. Auf dem Vordersitz rinnt das Blut seiner Mutter über ihr Gesicht und in ihr Haar, das dieselbe Farbe hat wie der Locken-Heiligenschein des Jungen. Es läuft auch in die offenen Augen, über ihre Hände und tropft auf den Boden. Schließlich sickert es in den orangefarbenen Sand am Fuß eines großen Baumes und mit ihm ihr Leben, weitab von ihrer Heimat.
    Myburgh schüttelte angestrengt die Erinnerung ab, kehrte an seinen Schreibtisch zurück, um seine Erkenntnisse zusammenzufassen, und ließ sich von der Routine der Methodenbeschreibung,
Ergebnisdarstellung und Schlussfolgerung beruhigen. Er druckte das Dokument aus und steckte es mitsamt dem Notizbuch in einen großen Umschlag. Dann sann er lange darüber nach, was seine Entdeckung für die hübsche Frau aus Kapstadt bedeuten mochte; doch schließlich schloss er sein Labor ab und verschwand, sorgsam darauf bedacht, nicht gesehen zu werden.

36
    Clare parkte neben Tamars Wagen, als sie am Montagmorgen das Polizeirevier von Walvis Bay erreichte. Sie konnte es kaum erwarten, nach der sonntäglichen Totenstarre des Ortes endlich wieder zu arbeiten. Die Polizistin am Empfang begrüßte sie, als wäre sie wochenlang weg gewesen. Clare bemerkte einen Lichtstreifen unter der Tür zu Tamar Damases’ Büro. Sie klopfte an und trat ein.
    »Wie war die Reise nach Kapstadt?«, fragte Tamar, nachdem sie Clare eine Tasse Tee angeboten hatte.
    »Interessant«, sagte Clare.
    »Also nicht unbedingt positiv.« Tamar warf ihr einen vielsagenden Seitenblick zu.
    »Nicht unbedingt«, bestätigte Clare mit einem melancholischen Lächeln. »Die Ballistiker haben die Kugel zuordnen

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