Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
Vom Netzwerk:
unter seinem Hemdkragen hervor Röte in seine Wangen.
    Clare sah wieder auf sein Porträt. Die Darstellungen waren skelettartig und faszinierend, in Form und Farbe an die Felsenmalereien erinnernd, die man in der Wüste finden konnte. Oscars Bilder erzählten eine Geschichte, die andere Kinder, die sprechen und schreien und lachen konnten, nicht zu erzählen brauchten. Clare betrachtete das Bildnis einer Frau mit wildem Haar, das aus zerfranster gelber Wolle gefertigt war. Auch das nächste Bild strahlte eine bedrückende Stille aus. Ein Mann und ein Junge saßen nebeneinander; auf einem zweiten Stuhl saß eine von Kopf bis Fuß angespannte Frau und sah fern. Ein weiteres Bild, diesmal ohne Frau, und Oscar dicht an der Seite des Mannes, mit schlangenhaften Gliedmaßen, die wie vom Körper losgelöst schienen. Gewöhnliche Szenen, die durch das daraus strahlende Gefühl der Bedrohung irritierend wirkten.
    Clare spürte Oscars Anwesenheit, genau wie bei den diversen Gelegenheiten, als er auf dem Boulevard neben ihr hergegangen oder -gefahren war. Sie sah ihn an und bemerkte verblüfft den blauen Fleck auf seinem Wangenknochen, knapp unter seinem Auge, sowie einen kleinen, gemein aussehenden Riss in der zarten Haut. Clare legte die Hand auf Oscars dünne Schulter; strich über seinen Rücken, wo sich bestimmt noch mehr blaue Flecken versteckten. Das Kind zuckte zusammen.
    »Was ist passiert?«, fragte Clare betroffen. Mit gesenktem Kopf ließ Oscar seine Hände übereinanderpurzeln.

    »Du bist gestürzt?«, fragte sie. »Vom Fahrrad?«
    Er nickte und deutete auf das einzige Foto an der Wand. Es war verschwommen und auf billigem Papier gedruckt.
    »Mara?«, fragte Clare und beugte sich zu ihm hinab. Der Junge nickte.
    »Jetzt, wo sie weg ist, wirst du sie vermissen.« Auf dem Foto stand Mara Thomson frohlockend auf einem Dünenkamm, Arme und Gesicht der Sonne entgegenreckend und mit genussvoll geschlossenen Augen. Der Schatten des Fotografen reichte bis zu ihren Füßen und verlieh dem Bild eine seltsame Perspektive. Oscar saß, unter einem Hut und in ein Hemd mit langen Ärmeln gehüllt, zu ihren schattenüberströmten Füßen.
    »Aber du kennst doch die Wüste, oder? Dahin bist du immer mit deiner Mutter gefahren, nicht wahr?«
    Oscar nickte mit gebeugten Schultern wie ein alter Mann.
    »Clare?« Tamar und Darlene Ruyters sahen sie an. Die Kinder auch.
    »Entschuldigung«, sagte Clare. »Ich war kurz abgelenkt.«
    Oscar senkte den Blick, der dichte Saum dunkelbrauner Wimpern verbarg jede Gefühlsregung.
    »Mrs Ruyters meint, dass die Kinder Ihnen auch Fragen stellen möchten«, sagte Tamar. »Sie sind immer neugierig auf Ausländer.«
    »Als Südafrikanerin bin ich kaum eine Ausländerin«, wehrte Clare ab.
    Darlene zog eine Braue hoch. »Sie halten Swakopmund für ein fremdes Land, dabei liegt es nur dreißig Kilometer entfernt.«
    »Dann sollen sie nur fragen.« Clare lächelte.
    »Danke. Vielleicht sind sie dann nicht mehr so …«
    »Ängstlich?«, schlug Clare vor.
    »Ich wollte ›fasziniert‹ sagen.«
    Tamar erklärte, dass der tote Junge ins Leichenhaus gebracht worden war. Und dass ihnen keine Gefahr drohte. Der Halbmond
von Kindern zu ihren Füßen sah sie mit großen, ernsten Augen an. Nur die tapfersten wagten ein paar Fragen: Wo würde er beerdigt? Konnten sie zu seiner Beerdigung gehen? Tamar wehrte die Fragen mit professionellem Einfühlungsvermögen ab. Bald waren die Kinder näher herangerutscht, und sie hatte sie dazu gebracht, über andere Dinge zu reden.
    »Das war eine große Hilfe«, sagte Darlene, als sie Tamar von den Kindern weggezerrt und aus dem Klassenzimmer geführt hatte. »Vielen Dank.«
    »Der kleine Rotschopf«, sagte Clare.
    »Oscar?«, fragte Darlene nach.
    »Genau«, sagte Clare. »Er hat blaue Flecken im Gesicht.«
    »Oh, Tamar wird Ihnen das bestätigen, wir hatten so schlimme Fälle …« Darlenes Stimme erstarb. Sie sah Tamar hilfesuchend an.
    »Was halten Sie davon?« Clare konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass jemand einen Ring am Finger trug, in dessen Fassung geronnenes Kinderblut gesickert war.
    »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, sagte Darlene. »Richtig, die Kinder kommen mit blauen Flecken in die Schule, aber Sie sollten erst mal einige der Mütter an einem Montag sehen. Die bekommen noch viel mehr ab.« Sie schloss die Tür zum Klassenzimmer hinter ihnen. Nach dem Lärmen der Kinder war es im Korridor still und kalt.
    »Ich habe eine alte Freundin

Weitere Kostenlose Bücher