Blutrose
können, die wir in Lazarus Beukes gefunden haben.«
»Und zwar zu einem Mord in McGregor. Eigenartig«, meinte Tamar. »Ich habe schon mit Captain Faizal gesprochen.«
»Dass es dieselbe Waffe war«, schränkte Clare ein, »bedeutet nicht, dass es derselbe Täter sein muss. Waffen wechseln so schnell und für so wenig die Hände. Wie ging es mit den Vernehmungen zum Mord an Lazarus voran?«
»Keine Familie, also auch niemand, dem wir die traurige Nachricht übermitteln müssen«, sagte Tamar. »Eigentlich hätte mich das erleichtern sollen, stattdessen fühle ich mich noch elender. Die anderen Kids haben erzählt, dass er am Mittwoch noch in der Stadt war und dort seinen üblichen Geschäften nachging – alte Zeitungen zu verkaufen. Die kleineren Kinder, die bei ihm waren, sind irgendwann zur Müllkippe zurückgekehrt. Wenn sie zu spät kommen, bekommen sie nichts mehr zu essen. Lazarus meinte, er würde später nachkommen. Das tat er nicht, aber deshalb machte sich niemand Sorgen. Er ist älter, er zog sowieso sein eigenes Ding ab.«
»Haben sie am Donnerstag bemerkt, dass er verschwunden war?«, fragte Clare.
»Allerdings. Und sie haben Angst bekommen.«
»Aber keiner hat was gesagt?«
»Gewohnheiten ändern sich nicht so schnell«, sagte Tamar. »Zum einen sind es Jungs, also quatschen sie sowieso nicht. Und zweitens stehen sie auf keinem guten Fuß mit der Polizei. Vor allem mit einigen meiner Kollegen.« Sie stand auf und griff nach ihrer Jacke. »Ich fahre jetzt in die Schule. Mr Erasmus hat mich gebeten, mit den Erstklässlern zu reden. Sie wollen alle wissen, was wir mit dem Leichnam gemacht haben und ob wir den Mörder erwischen. Ob ihnen Gefahr droht. Möchten Sie mitkommen?«
»Gern.« Clare trank ihren Tee aus. »Ich hatte sowieso vor, mit Darlene Ruyters zu sprechen.«
Tamar nahm ihre Schlüssel, und sie gingen gemeinsam nach draußen. »Übrigens haben Sie Mara Thomsons Abschiedsparty verpasst«, erzählte sie Clare. »Die Schule hatte eine kleine Abschiedszeremonie für sie veranstaltet.«
»Wie war’s?«
»Traurig, in Anbetracht der Umstände. Ich glaube, sie hatte das Gefühl, dass alles, wofür sie gearbeitet hat, zu Staub zerfallen ist.«
Sie kamen zum Ende der ersten Pause in der Schule an. Gerade als Tamar den Wagen unter der Palme abstellte, läutete die Schulglocke. Erasmus kam aus dem Gebäude, um sie willkommen zu heißen, während die älteren Kinder in ihre Klassenzimmer zurückschlenderten. Er führte sie zu jenem Teil der Schule, aus dem man auf den Spielplatz sah, wo Kaiser Apollis’ Leichnam gefunden worden war. Der Gang, in dem die jüngsten Schüler untergebracht waren, war vollgestellt mit Ranzen und scharf riechenden Pausenboxen. Ernstgesichtige Sechsjährige warfen Glas, Papier oder Dosen in die Mülleimer und beobachteten mit großen Augen, wie sie zu Darlene Ruyters Klassenzimmer gingen. Von hier aus sah man direkt auf den Spielplatz, wo die jetzt leeren Schaukeln langsam im Wind schwangen.
Darlene Ruyters saß an ihrem Schreibtisch und hatte den rechten Arm um ein dickes, bezopftes Mädchen gelegt. Das Kind fuhr herum, als es Clare und Tamar in der Tür stehen sah. Darlene gab der Kleinen einen Klaps auf den Hintern und schickte sie zurück auf ihren Platz.
»Guten Morgen, Captain, Frau Doctor.« Darlene reichte ihnen die schlanke rechte Hand. Die Kinder kamen raschelnd auf die Füße und begrüßten die beiden Störer in halblautem Singsang. Auf ein Winken von Darlene hin setzten sie sich wieder.
»Ihr malt eure Meeresbilder fertig«, wies sie die Klasse an. Kleine Köpfe beugten sich über bunt bemalte Blätter. Nach ein paar verstohlenen Blicken hatten sich alle Kinder wieder in Scheren und Leim und Glitzerkonfetti vertieft. Während Tamar mit Darlene besprach, was sie den Kindern erzählen würde, schlenderte Clare zur letzten Reihe. An der Wand hing eine Reihe von plakatgroßen Selbstporträts. Gut gelaunte Collagen mit einem lächelnden Kind, teils blond, meist dunkelhaarig, in der Mitte. Bilder von Eltern, Geschwistern, Häusern zwischen Hütte und Villa, Eiskrem, gegrilltem Fisch –
den kleinen vertrauten Vergnügungen, die einem Kinderleben Sinn gaben.
Clares Blick fiel auf den einsamen Rotschopf. Oscar. Er hatte sich einen wilden Schopf aus rotem Garn verpasst. Als sie sich nach dem Original umdrehte, waren seine grünen Augen unbeweglich auf sie gerichtet. Sie lächelte ihn an. Er senkte augenblicklich den Blick, und zu ihrer Verblüffung stieg
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