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Blutrose

Blutrose

Titel: Blutrose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margie Orford
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leise, als wollten sie sich vergewissern, dass sie nicht allein in den weiten Salzmarschen waren. Die Kälte und eine plötzliche Eingebung trieben Clare in den Bungalow zurück: Wenn sie schon nicht schlafen konnte, konnte sie genauso gut arbeiten.
    Sie zog sich schnell an und kippte kurz hintereinander zwei Tassen Kaffee. Der startende Motor ihres Autos klang so laut, dass sie überzeugt war, die ganze Stadt aus dem Schlaf gerissen zu haben, doch alles blieb still. Kein Licht ging an.
    Ein schläfriger Wachposten winkte sie durch das Tor vor dem Polizeirevier. In den Einsatzraum sickerte von der Straße ein fahles Licht, in dem Clares angepinnte Opfer aussahen wie eine makabre Boygroup. Sie überschwemmte den Raum mit Neonlicht und setzte sich an ihren Schreibtisch. Dann schlug sie ihr Notizbuch auf und zog auf einem leeren Blatt eine Spalte für jeden der Jungen. Das erste Opfer ohne Einschnitte auf der Brust. Dann zwei, drei. Die fehlende Nummer vier und zuletzt die Fünf. Fünf Spalten, vier Leichen. Clare schrieb in Stichpunkten alles zusammen, was sie über die Jungen wusste, was sie über ihren Tod erfahren hatte. Danach sammelte sie, was sie nicht wusste.
    Sie zog eine weitere Spalte für den Mörder. Dort hatte
sie nichts einzutragen außer einer Kugel, die zu einem fast zweitausend Kilometer entfernten Mord passte, sowie einem weißen Fahrzeug in der Dunkelheit. Ein Räuber, der lautlos durch die Nacht pirschte. Allergrößte Geheimhaltung, und doch wurden die Leichen dort abgelegt, wo sie unmöglich übersehen werden konnten. Wieder studierte sie die Karte des Gebietes, in dem Lazarus gefunden worden war. Eine Straße, die hineinführte. Eine Straße, die hinausführte. Dahinter nichts als Sand ohne jede Fahrzeugspur; die einzigen Spuren stammten von Tieren. Genauso bei Kaiser Apollis. Ungesehen und in absoluter Stille dort abgelegt. Aber wie? Immer wenn sie die Antwort, die an ihrem Gedankenhorizont zu schweben schien, zu packen versuchte, löste sie sich auf wie eine Luftspiegelung über einer Wüstenstraße.
    Haben und Soll. Ganz gleich, wie sie die Fakten ordnete, die Rechnung wollte einfach nicht aufgehen. Die Wahrheit lag versteckt unter der Oberfläche wie ein Fluss, der tief unter der Erde dahinströmte. Clare legte den Kopf auf die Arme, schloss die Augen, um besser nachdenken zu können, und nickte prompt ein. Vollbekleidet unter einer flackernden Neonröhre lagernd schlummerte Clare tief und traumlos.

    Der Geruch nach frischem Kaffee weckte sie wieder. »Sieht dir gar nicht ähnlich, bei der Arbeit zu schlafen.« Eine Stimme, die aus ihren Träumen stammen sollte, aber es nicht tat, und eine sanfte Hand, die das Haar aus ihrer Stirn strich.
    »Riedwaan.« Freude in ihrer Stimme. Sie sah elend aus; das konnte sie spüren. Die Haare zerzaust, eine rote Wange mit Druckspuren von ihrem Ärmel. »Was machst du denn hier?«
    »Ich habe dir Kaffee gemacht. Hier.« Riedwaan schob eine dampfende Tasse über den Schreibtisch. »Und ich habe dir aus der Venus-Bäckerei einen Florentiner mitgebracht. Deine Leibspeise.«
    Die honigüberzogenen Mandeln glänzten in ihrem Nest aus
Schokolade und Trockenfrüchten. Clare griff danach. Es war zu früh am Morgen, um Widerstand zu leisten. Sie biss in das kleine Gebäck. Es schmeckte köstlich. Und es war praktisch, weil sie unmöglich gleichzeitig essen und grinsen konnte. Was sie andernfalls kaum zu unterdrücken vermocht hätte, wo sie Riedwaan auf ihrer Schreibtischecke sitzen sah.
    »Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast, wann du kommst«, sagte sie mit vollem Mund.
    »Ich habe es versucht. Schau auf deinem Handy nach.«
    Clare zog es aus ihrer Tasche. »Verdammt. Hast du wirklich. Es war stumm geschaltet.«
    »Was machst du hier?«, fragte Riedwaan.
    »Ich konnte nicht schlafen«, antwortete Clare.
    »Das sah aber anders aus.«
    »Im Bett konnte ich es jedenfalls nicht«, sagte sie.
    »Also bist du hergekommen?«, fragte Riedwaan. »Ein merkwürdiger Ort, um nach einschläfernder Gesellschaft zu suchen.«
    »Die machen mich noch verrückt.« Clare deutete auf die Jungen an der Wand. »Immer wenn ich das Gefühl habe, etwas in der Hand zu haben, verrinnt es wie Wasser auf heißem Sand. Hast du Captain Damases schon gesehen?«, fragte sie.
    »Noch nicht. Nur van Wyk, glaube ich. Er ist so warmherzig wie ein KGB-Agent.«
    »Dann war es bestimmt van Wyk«, bestätigte Clare. »Ich glaube nicht, dass Südafrikaner auf der Liste seiner Lieblingsmenschen stehen.

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