Blutrot - Die Farbe der Lust - Page, S: Blutrot - Die Farbe der Lust
Zwischen verwobenen Ästen und wuchernden Sträuchern erspähte er das Dach, die weißen Säulen neben dem Eingang und die stille Erhabenheit des Mausoleums.
„Ich kann die Anzahl der Mausoleen, in denen ich mitten in der Nacht gewesen bin, kaum zählen.“ Althea duckte sich unter einem niedrigen Ast hindurch und richtete sich sofort wieder auf. Sie hielt den Rücken gerade und zeigte keine Furcht.
Sogar jetzt, da ihr Haar in nassen Strähnen an ihrem Gesicht klebte und ihre Haube von der Nässe zerdrückt war, war sie strahlend schön. Ein Tropfen fiel von ihrem Kinn. Er befürchtete, dass sie sich eine Erkältung holen würde. Sie wirkte stark. Es war eine innere Stärke, die er seltsamerweise häufiger bei Kurtisanen und Huren erlebt hatte als bei Frauen der besseren Gesellschaft. Er war sicher, seine furchtsame, zarte Mutter hatte diese Stärke nie besessen.
Er war als Gentleman erzogen worden. Besitzansprüche und Beschützerinstinkte waren ihm anerzogen worden. Es waren Eigenschaften, von denen er glaubte, dass sie einem Mann zustanden. Aber nie hatten seine Instinkte so laut danach geschrien, jemanden zu verwöhnen und zu beschützen. Er hatte seine Mutter vor Schlägen und anderen Brutalitäten bewahrt, und dafür hatte sein Vater ihn aufs Grausamste ausgepeitscht. Bei Althea brannte sein Bedürfnis, sie zu beschützen, wie ein verzehrendes Feuer. Er war dazu bestimmt, sie vor dem Bösen zu bewahren. Und sie war bestimmt, sich dem Bösen zu stellen.
Es schien Althea keine Probleme zu bereiten, sich gegen ihn zu behaupten – und er war bei Weitem gefährlicher als sein Vater es gewesen war. Er war größer gebaut, aber zudem war er unsterblich und besaß übernatürliche Kräfte.
Aber er war nicht wie sein Vater. Nie wollte er seine Kräfte gegen eine Frau wenden. Erst recht nicht gegen Althea. Ihr Dickschädel, den sie beständig durchsetzen wollte, stellte seine Geduld auf eine harte Probe, aber bei Gott, nie würde er die Hand gegen sie erheben.
„Kommst du?“, fragte sie. „Du hast doch keine Angst?“
Yannicks Miene verfinsterte sich. Er trat zu ihr. Äste griffen nach ihm, doch er duckte sich nicht. Ein Ast, so dick wie sein Handgelenk, bog sich und brach durch, splitternd an seiner Brust.
Sie keuchte und ihre Augen weiteten sich. Doch als er ihre Seite erreichte, grinste sie ihn frech an, und da wusste er, sie hatte ihn mit ihrer Frage nur necken wollen. Er wünschte sich, wenigstens eine Spur von Angst bei ihr zu entdecken, und sei es nur, damit er sicher sein konnte, dass sie die Sache ernst nahm. Das hier war kein Spaß und auch kein Spiel.
„Ich habe nur um dich Angst, Süße“, gestand er. Sollte sie daraus doch machen, was sie wollte.
Es war die verdammte Wahrheit. Sie hierherzubringen war ein Fehler, aber er bezweifelte nicht, dass sie allein hierhergefunden hätte. Und schlimmer noch, er hatte die albtraumhafte Vorstellung, sie wäre auch ohne ihn hierhergekommen. Nicht weil sie dumm war. Sie war eine intelligente Frau, die auf einem Gebiet bewandert war, das für eine süße Jungfrau wie sie kaum richtig war. Sie wäre hierhergekommen, weil sie um ihn besorgt war und ihn vor den ’Vampirjägern’ ihres Vaters beschützen wollte.
Er hielt weitere Äste für Althea beiseite. Dornen griffen nach ihrem Kleid. Er griff nach unten und half ihr, die Röcke zu befreien.
„Konnte Zayan nicht einen Gärtner einstellen?“, murmelte sie, während sie gemeinsam an der vollgesogenen Wolle rissen.
„Es ist durchaus möglich, dass Zayan einen Gärtner hatte und das Blut der armen Sau getrunken hat.“
„Ich vermute, so macht er es mit seinen Dienern, oder?“ Sie runzelte die Stirn und verzog den Mund, während sie ihre Röcke aus dem Dreck hob. „Obwohl ich keinen Klatsch über verschwundene Diener gehört habe.“
Sie griff mit beiden Händen nach den Röcken, obwohl sie mit einer Hand noch immer den Handkoffer trug.
Er streckte die Hand aus. „Lass mich das tragen.“
Altheas Kopf fuhr zu ihm herum. Ein bitterer Ernst lag in ihrem Blick. „Was ist mit dir? Du lebst auf deinem Landsitz. Beißt du deine Diener?“
„Ich vermute, Zayan holt sich das, was er braucht, weit entfernt von seinem Zuhause. Er kann große Distanzen in kurzer Zeit zurücklegen, wenn er seine Gestalt wandelt. Ich versuche bloß, diskret zu sein.“
Sie hatten den Waldrand erreicht. Hinter den Bäumen rauschte der Regen unvermindert. „Ich weiß nichts über dich. Über dein Leben. Wie du als Vampir
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