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Blutrot wie die Wahrheit

Blutrot wie die Wahrheit

Titel: Blutrot wie die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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deutete auf einen der Gartenstühle, schmiedeeisern und mit gestreiften Kissen, und rückte die Ottomane ein Stück nach vorn, damit sie beide ihre Füße darauf legen konnten. Nell setzte sich, streifte sich die perlenbesetzten Abendschuhe ab und legte die Füße hoch. Als Emily ihr silbernes Zigarettenetui aufschnappen ließ, lehnte sie dankend ab.
    â€žGefällt es Ihnen?“, fragte Emily weiter. „Eine Gouvernante zu sein?“
    â€žOh ja, doch. Gracie bedeutet mir sehr viel. Ich liebe sie, als wäre sie mein eigenes Kind. Und ich habe auch Mrs. Hewitt sehr gern.“
    â€žIch mag sie auch.“ Emily ließ den Kopf zurücksinken, die Augen halb geschlossen, ihr Lächeln wehmütig. „Als ich noch klein war, habe ich mir immer gewünscht, dass sie meine Mutter wäre.“
    Etwas unsicher, wie sie das Thema zur Sprache bringen sollte, meinte Nell unumwunden: „Nachdem sie eben gegangen waren, erwähnte Ihre Mutter, Sie wären mit dem Dienstmädchen befreundet gewesen, das Mrs. Kimball umgebracht haben soll.“
    Emily wandte den Kopf und sah Nell fragend an. „Umgebracht haben soll?“
    â€žEine amtliche Untersuchung ist kein Gerichtsverfahren. Ich zumindest erachte sie nicht als rechtskräftig verurteilt. Fiona war die Nichte eines Freundes von mir und …“
    â€žBrady? Der Kutscher der Hewitts?“
    â€žGenau.“
    â€žSie hat oft von ihm gesprochen. Gott weiß, wie ihm jetzt zumute sein muss.“
    â€žEr ist völlig am Boden zerstört. Wenn er von ihr spricht, klingt es, als wäre sie ein nettes junges Mädchen gewesen, aber in den Zeitungen wird sie als wahres Monster hingestellt.“
    â€žIch weiß.“ Emily reichte Nell ihr Sherryglas; Nell trank einen kleinen Schluck und gab es ihr zurück. „Dazu kann ich eigentlich nur sagen, dass … Ich mochte sie einfach. Sie hatte keine Angst davor, sie selbst zu sein, was sie von den meisten Dienstboten unterschied, insbesondere denen meiner Eltern, und sie war ehrgeizig. Wussten Sie, dass sie einen Kurzwarenladen aufmachen wollte?“
    â€žBrady hat mir davon erzählt.“
    â€žWir haben uns gut verstanden“, meinte Emily und schwenkte bedächtig den Sherry im Glas. „Wir vertrauten einander. Und ich war ihr schlichtweg dankbar, jemand in diesem Haus zu haben, mit dem ich reden konnte.“
    â€žVerstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber mir scheint es dennoch etwas seltsam, dass eine Dame Ihres Standes sich mit einem Zimmermädchen anfreundet.“
    â€žEine Dame meines Standes“, wiederholte Emily und lachte spöttisch. „Ach ja, was für ein erhabenes Geschöpf ich doch bin!“ Einen Moment schwieg sie, bevor sie meinte: „Eines der vielen Dinge, die ich auf meinen Reisen gelernt habe, ist dies – dass wir im Grunde alle gleich sind und dass alle Systeme und Ordnungen, die uns in Klassen und Kategorien einteilen und voneinander trennen, nur künstlich geschaffen sind. Vor allem habe ich gelernt, meinem Instinkt zu vertrauen, und der hat mir gesagt, dass Fiona Gannon meiner Freundschaft durchaus würdig war.“ Etwas ernster fügte sie hinzu: „Mag sein, dass mein Instinkt mich in diesem Fall getrogen hat, aber ich bereue nicht, ihm gefolgt zu sein. Was mir an H.P.B. gefiel – wahrlich das Einzige, das mir an ihr gefiel, um ehrlich zu sein –, war der egalitäre Grundgedanke ihrer Lehre. Sie hat uns erzählt, dass sie als Kind mit der Tochter einer der Bediensteten ihrer Eltern befreundet war. Das war ich einst auch – mit der Tochter unserer Köchin.“
    â€žUnd was haben Ihre Eltern dazu gesagt?“, fragte Nell.
    â€žSie haben die Köchin entlassen.“ Emily nippte an ihrem Sherry und reichte das Glas dann wieder Nell. „Wundern Sie sich da noch, dass ich es kaum erwarten konnte, von hier fortzukommen? Sowie der Krieg vorbei war, war das mein einziger Gedanke.“
    â€žWenn Sie doch aber so wenig von Madame Blavatsky gehalten haben“, wandte Nell ein, „wieso sind Sie dann so lange mit ihr gereist?“
    â€žDas lag an Tante Vera. Meine Eltern hatten natürlich darauf bestanden, dass ich während meiner Reise eine respektable Begleiterin dabei habe, wenngleich ich ja viel lieber allein losgezogen wäre. Aber sie haben das Ganze bezahlt – und ein einjähriger Aufenthalt in Europa ist nicht gerade billig –,

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