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Blutrot wie die Wahrheit

Blutrot wie die Wahrheit

Titel: Blutrot wie die Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P.B. RYAN
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weshalb mir gar nichts anderes übrigblieb, als mich ihren Wünschen zu beugen. Zumindest hatte ich mich mit Vera schon immer etwas besser verstanden als mit dem Rest meiner Familie. Aber sie stellte sich leider als völlig ungeeignete Reisebegleitung heraus. Ihr gefiel keine der Städte, die wir besuchten, sie mochte das fremde Essen nicht, sie fand alle Ausländer einfach nur grässlich. Auf dem Schiff wurde sie seekrank, und im Zug wurde ihr auch übel … Am liebsten wäre sie sofort wieder nach Hause gefahren. Sie hat nur herumgejammert und geheult und mich ständig angefleht, bald zurückzufahren. Sie war kurz davor, meinen Eltern ein Telegramm zu schicken, damit sie der Reise ein Ende machten, als wir hinunter nach Italien fuhren und H.P.B. begegneten.“
    â€žAh ja.“
    â€žVera stand vom ersten Augenblick an völlig in ihrem Bann und hat diesen ganzen theosophischen Hokuspokus fraglos geschluckt. Aber so ist Vera nun mal – unterwürfig und leicht zu beeindrucken … fasziniert von starken Persönlichkeiten. Sie hat sich darum gekümmert, dass wir noch eine Weile mit H.P.B. und ihrer zahlreichen Gefolgschaft reisen konnten, und es ist ihr sogar gelungen, Vater dazu zu überreden, für die Kosten aufzukommen. Eigentlich mag man kaum glauben, dass die beiden Bruder und Schwester sind, so unterschiedlich sind sie, aber irgendwie trifft sie immer den richtigen Ton bei ihm.“
    â€žSie muss wirklich sehr überzeugend gewesen sein, wenn sie ihn dazu überreden konnte, Sie noch so lange und auch so weit reisen zu lassen.“
    â€žOh ja, sie war auf einmal sehr motiviert“, meinte Emily. „Tante Vera hat H.P.B. sogar dann noch zutiefst verehrt, nachdem wir von dem Jungen wussten, den sie umgebracht hatte.“
    Nell schaute Emily ungläubig an, nicht sicher, ob sie sich eben verhört hatte.
    Emily beugte sich zu Nell vor, ihre Augen funkelten, als wolle sie ihr ein ganz besonders brisantes Gerücht anvertrauen. „Es geschah, als H.P.B. noch ein Kind war und in Russland lebte. Sie war furchtbar reich und verwöhnt und anscheinend auch ein ziemlich durchtriebenes Balg. Ihre Eltern ließen ihr zumindest regelmäßig den Teufel austreiben.“
    â€ž Den Teufel austreiben? “
    â€žDie Dienstboten der Familie hatten behauptet, die kleine Helena habe eine besondere Macht über die russalki. Das sind russische Wassernymphen – die Seelen junger Frauen, die ertrunken sind. Eines Abends während des Essens erzählte H.P.B. uns, wie sie im zarten Alter von vier Jahren eine besondere Abneigung gegen einen der Leibeigenen ihrer Eltern gefasst hatte – selbst noch ein kleiner Junge –, da er sie immerzu ärgerte. Und so befahl sie den russalki, ihn zu Tode zu kitzeln.“
    â€žUnd das haben Sie ihr geglaubt?“
    â€žDu lieber Himmel, nein! Natürlich nicht. Ich dachte, das sei nur wieder eine ihrer fabulösen Geschichten – bis wir dann eines Tages nach Russland kamen, an den Ort, wo sie aufgewachsen war. Dort habe ich mich ein wenig umgehört und herausgefunden, dass damals auf dem Anwesen ihrer Eltern tatsächlich ein kleiner Junge ertrunken war und jeder in der Gegend wusste, dass sie seinen Tod verursacht hatte. Aber ihr Vater war ein mächtiger Mann und Helena bereits weithin gefürchtet, weshalb sie unbehelligt davonkam. Sie meinte an jenem Abend zu uns, dass sie sich seit dem Tod des Jungen allmächtig und unangreifbar fühlte. Und dass ein jeder lernen könne, die Kräfte der Seele und die Mächte der Dämonen zu beherrschen, aber das bedürfe eines festen Glaubens und sehr viel Disziplin, weswegen ja auch das Wort Jünger – lateinisch discipulus – von Disziplin käme. Fortan habe ich einen weiten Bogen um sie gemacht, aber Vera schien das überhaupt nicht zu schrecken. Natürlich nicht – sie verehrte H.P.B. ja geradezu. Wahrscheinlich redete sie sich ein, dass die Geschichte gar nicht stimme, da ihre angebetete H.P.B. etwas so Schreckliches natürlich niemals hätte tun können.“
    â€žMich überrascht, dass Sie nach diesem Vorfall noch bereit waren, mit dieser Dame zu reisen“, meinte Nell.
    â€žNur so konnte ich die Reise doch überhaupt fortsetzen“, erwiderte Emily und blies eine Wolke würzig duftenden Rauchs aus. „So kam es, dass ich schließlich vier Jahre lang die Welt bereist habe. Es war …

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