Blutrot
regungslos hinter ihm, dass nicht einmal die Holzdiele unter seinen Füßen knarrte. Ludlow mochte es nicht, derartig im Mittelpunkt zu stehen. Ob sie nun auf seiner Seite waren oder nicht, es stachelte seine Wut nur noch mehr an. Diese Leute waren wie ein Windstoß, der das Feuer auflodern lässt. Am liebsten hätte er sie aus dem Laden geworfen und alles kurz und klein geschlagen. Ohne Rücksicht darauf,
dass dabei sein eigenes Hab und Gut zu Bruch ginge.
»Aber vielleicht können wir das Ruder noch herumreißen«, sagte Sam. »Zumindest besteht eine gewisse Chance.«
»Wie denn?«
»Miss Donnel hier.«
»Letzten Winter gab es einen Fall drüben in Lagrange«, sagte sie. »Ein Mann besaß einen Wohnwagen außerhalb der Stadt. Der Wohnwagen stand zwar auf dem Grundstück seines Bruders, aber er gehörte dem anderen. Außerdem besaß er auch noch ein Haus in der Stadt.
Während der schlimmsten Kälteperiode des Jahres ließ der Mann sich zwischendurch drei Wochen lang nicht am Wohnwagen blicken. Er blieb lieber zu Hause im Warmen. Irgendjemand, wahrscheinlich der Bruder, erstattete eines Tages anonym Anzeige wegen Tierquälerei. Das Sheriffbüro sah sich die Sache vor Ort an.
Draußen im Hof entdeckten sie zwei angekettete, halb tote Hunde. Der eine hatte weder Futter noch Wasser. Der Wassernapf des anderen war ein einziger Eisblock. Neben den Stufen lag eine tote Gans mit einem Strick um den Hals. In einem Verschlag fanden sie ein totes Kaninchen samt Halsband und Kette. Beide Tiere waren gefroren. Drinnen fanden sie sechs halb verhungerte Katzen, drei Hunde und im Schlafzimmer einen toten Wellensittich.
Überall lag Kot herum. Auf der Couch. Im Bett. Im Waschbecken. Überall.«
Er beobachtete sie. Ihm fiel ihre stakkatohafte Sprechweise auf, ihre erregten Handbewegungen, die großen braunen Augen, die kaum blinzelten und ihn ruhig und geschäftsmäßig anblickten.
»Zuerst gab der Beschuldigte an, er wäre jeden zweiten oder dritten Tag hingefahren, um die Tiere zu füttern. Dann behauptete er plötzlich, sein Bruder wäre dafür zuständig gewesen. Sein Anwalt erklärte dem Sheriff, es gebe gar keinen Fall, weil es hier um die Besitzrechte gehe. Die Tiere seien zu dem Zeitpunkt gar nicht im Besitz seines Klienten gewesen, weil dieser woanders wohnte und demzufolge keine Verantwortung für sie besaß. Das Grundstück gehörte schließlich seinem Bruder. Deshalb wäre der für die Tiere verantwortlich gewesen.«
»Aber die Tiere gehörten doch dem Beschuldigten. Nicht dem Bruder.«
»Stimmt.«
»Wie ging das Ganze aus?«
»Ich glaube, die Staatsanwaltschaft hatte keine Lust, sich in einen Familienstreit über ein paar verhungerte Tiere einzumischen. Sie ließen die Anklage fallen. Zumindest bis die Zeitungen und der lokale Fernsehsender von dem Fall erfuhren. Genau darum geht es hier, Mr. Ludlow. Es waren die Presse und die Öffentlichkeit, die einen Prozess erzwungen haben. Als die Geschichte öffentlich wurde, mussten sie Anklage erheben.«
»Und dann?«
Sie seufzte. »Der Mann wurde freigesprochen. Der Richter entschied im Sinne der Verteidigung. Er sagte, die Tiere wären nicht im Besitz des Angeklagten gewesen und hätten damit nicht seiner Verantwortung unterstanden.«
»Ich wette, der Bruder kam auch ungeschoren davon.«
»Natürlich.«
»Und wem haben die Tiere wirklich gehört?«
»Niemandem. Zumindest laut Meinung des Gerichts.«
»Sieh mal, Av«, unterbrach Sam. »Damals ist der Täter davongekommen. Das heißt aber nicht, dass es diesmal auch so sein muss. Auf diese Weise haben wir wenigstens eine Chance, den McCormack-Jungen vor Gericht zu kriegen. Carrie ist eine ausgezeichnete Reporterin. Deshalb möchte ich sie mit ins Boot holen.«
»Heißt das, Sie wollen die Geschichte ins Fernsehen bringen?«
»Ich möchte Sie ins Fernsehen bringen, Mr. Ludlow. Ich möchte mit einem Filmteam nach Miller’s Bend rausfahren und Sie dort interviewen. Ohne Namen zu nennen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre das nämlich zweifellos Verleumdung. Sie stehen einfach da und erzählen ihre Geschichte. Was die Jungen getan haben und was die Staatsanwaltschaft nicht gewillt ist zu tun. Ich möchte, dass die Zuschauer sich
vor Wut auskotzen , wenn sie den Beitrag sehen. Entschuldigen Sie meine Ausdrucksweise.«
Jetzt wusste er, woher ihre abgehackte Sprechweise kam. Die Frau hatte sich den langsamen Sprachrhythmus gut antrainiert, aber soeben war das Original herausgetreten wie Trompeten aus den
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