Blutrote Kuesse
Offenbar stand meine Mutter noch immer vor der Tür.
»Mit niemandem.« Ganz bestimmt mit niemandem, der Verstand im Kopf hatte. »Leg dich wieder schlafen.«
Ich zog einen Schlafanzug an und trug meine Schmutzwäsche nach unten, um sie in die Waschmaschine zu werfen. Ich ermahnte mich, daran zu denken, sie in der Früh gleich einzuschalten. Als ich das Zimmer betrat, das ich mir mit meiner Mutter teilte, saß sie aufrecht im Bett.
Das war neu. Gewöhnlich schlief sie jeden Abend um neun tief und fest.
»Catherine, wir müssen uns unterhalten.«
Sie hätte sich keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können, aber ich unterdrückte ein Gähnen und fragte sie, was denn so wichtig sei.
»Deine Zukunft, natürlich. Ich weiß, dass du dir zwei Jahre Zeit gelassen hast, bevor du aufs College gegangen bist, damit du uns mit der Arbeit helfen konntest, nachdem Grandpa Joe den Herzinfarkt hatte, und du sparst auch jetzt schon wieder seit zwei Jahren, damit du vom Gemeindecollege an die Ohio State University wechseln kannst. Aber bald ziehst du aus. Führst dein eigenes Leben, und ich mache mir Sorgen um dich.«
»Mom, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich bin vorsichtig ...«
»Du darfst nie vergessen, dass du ein Monster in dir hast«, unterbrach sie mich.
Ich presste die Lippen zusammen. Gott, sie hatte sich den perfekten Zeitpunkt dafür ausgesucht, sich über dieses Thema auszulassen! Du hast ein Monster in Air, Catherine. Mit diesen Worten hatte sie mir auch meine Herkunft enthüllt, als ich sechzehn Jahre alt gewesen war.
»Ich hatte Angst um dich, seit ich von meiner Schwangerschaft wusste«, fuhr sie fort. Das Licht war ausgeschaltet, aber ich brauchte auch keines, um die Anspannung in ihrem Gesicht zu erkennen. »Vom Tag deiner Geburt an hast du genau wie dein Vater ausgesehen. Danach habe ich jeden Tag mitverfolgt, wie der Unterschied zwischen dir und den anderen Kindern mit der Zeit immer größer wurde. Bald ziehst du aus, und ich werde nicht mehr auf dich aufpassen können. Du wirst selbst dafür Sorge tragen müssen, dass du nicht zu einem Ungeheuer wirst, so wie der, der dich gezeugt hat. Du darfst es nicht zulassen. Bring das College zu Ende, mach deinen Abschluss. Zieh weg von hier, such dir ein paar Freunde, das wird dir guttun. Aber sei vorsichtig. Vergiss nie, dass du anders bist als die anderen. In ihnen steckt nichts Böses, das nur darauf wartet, Besitz von ihnen zu ergreifen, wie es bei dir der Fall ist.«
Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich den Drang, ihr zu widersprechen. Ihr zu sagen, dass ich vielleicht gar nichts Böses in mir hatte. Dass mein Vater schon einen schlechten Charakter gehabt haben könnte, bevor er zum Vampir wurde, und ich zwar anders, aber keine halbe Teufelin war.
Kaum lagen mir die Widerworte auf der Zunge, da schluckte ich sie auch schon wieder herunter. Unser Verhältnis hatte sich sehr verbessert, seit ich angefangen hatte, Vampire zu jagen, das hatte ich wohl gemerkt. Sie liebte mich, das wusste ich, doch früher war, es mir immer so vorgekommen, als würde ein kleiner Teil von ihr mich auch hassen, sowohl für die Umstände meiner Zeugung als auch für deren Folgen.
»Ich vergesse es nicht, Mom«, sagte ich nur. »Ich vergesse es nicht, das schwöre ich dir.«
Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher. Als ich es sah, war ich froh, mich nicht mit ihr gestritten zu haben. Es gab keinen Grund, sie aufzuregen. Diese Frau hatte das Kind ihres Vergewaltigers großgezogen, und in dieser kleinen Stadt wurde sie schon als ledige Mutter wie eine Aussätzige behandelt. Niemand kannte die schreckliche Wahrheit über ihre Schwangerschaft. Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug gewesen, hatte sie in mir auch ein Kind gehabt, das alles andere als normal war. Da musste ich ihr nicht auch noch Vorträge über Gut und Böse halten.
»Freitag«, fuhr ich fort, »werde ich sogar wieder auf die Jagd gehen. Wahrscheinlich komme ich erst spät nach Hause. Mein... mein Gefühl sagt mir, dass ich einen aufspüren werde.«
O ja. Und ob.
Sie lächelte. »Du tust das Richtige, Kleines.«
Ich nickte und verdrängte meine Schuldgefühle. Fände sie das mit Bones heraus, würde sie mir niemals verzeihen. Sie würde nicht verstehen, wie ich mich mit einem Vampir habe einlassen können, egal aus welchen Gründen.
»Ich weiß.«
Sie legte sich wieder hin. Ich legte mich auch in mein Bett und versuchte einzuschlafen. Doch Ängste über meinen Sinneswandel und denjenigen,
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