Blutrote Kuesse
nicht schrecken. Sie war ausgelassen und überschwänglich genug für uns beide, und aus irgendeinem Grund schien sie mich sofort ins Herz geschlossen zu haben.
»Ja, hab ich. Brauchst du Kopien?«
Sie grinste. »Nee. Die würde ich doch nicht lesen. Studieren ist so langweilig. Außerdem brauche ich den Mist eh nie wieder, also, was soll's?«
Stephanie war auch im ersten Semester, aber in vielerlei Hinsicht sehr viel welterfahrener als ich. Bereits bei unserem zweiten Gespräch hatte sie mich davon in Kenntnis gesetzt, dass sie schon im Alter von zwölf Jahren mit Jungs ausgegangen war, ihre Jungfräulichkeit mit vierzehn verloren hatte und Männer genauso unterhaltsam und praktisch wie Fastfood fand.
»Warum hast du dich eigentlich am College eingeschrieben?«, fragte ich sie belustigt.
Sie wies mit einem vielsagenden Nicken auf einen attraktiven jungen Mann, der gerade an uns vorbeikam.
»Wegen der Jungs. Hier wimmelt es nur so davon. Es ist wie beim All-you-can-eat-Buffet!«
Bones und sie hatten etwas gemeinsam. Auch er hätte den Campus als All-you-caneat-Buffet betrachtet, nur mit ganz anderen Hintergedanken.
Ich war ihm aus dem Weg gegangen, seit ich am Sonntagmorgen mit ihm im Bett aufgewacht war. Am Mittwoch hätte ich mich mit ihm vor der Höhle treffen sollen, war aber nicht hingegangen. Ich war zu verwirrt. Meine Gefühle für ihn hatten eine drastische Metamorphose durchlaufen. In den vergangenen sieben Wochen hatte sich mein brennender Hass auf unbegreifliche Weise in Anziehung verwandelt.
»Also, wollen wir heute Abend was zusammen unternehmen?«
Einen Augenblick lang sah ich sie nur verblüfft an.
Ich war zweiundzwanzig Jahre alt und noch nie mit einer Freundin ausgegangen, um mich einfach nur zu amüsieren und ganz normale Sachen zu machen. Scheiße noch mal, um die ganze jämmerliche Wahrheit zu sagen, hatte ich bisher noch nicht einmal eine Freundin gehabt, mit der ich hätte ausgehen können.
»Ah, ja klar.«
Sie grinste. »Cool. Wir lassen es ordentlich krachen. Treffen wir uns bei mir? Dann können wir zusammen in diesen Super-Club gehen, ich kenne den Türsteher. Er lässt dich rein.«
»Oh, ich bin über einundzwanzig«, klärte ich sie auf. Ich war es gewohnt, für jünger gehalten zu werden. »Zweiundzwanzig, um genau zu sein.«
Sie warf mir einen so strengen Blick zu, dass ich unbehaglich von einem Fuß auf den anderen trat. Okay, ich war ein bisschen älter als der gewöhnliche Studienanfänger, aber ich hatte ja auch auf der Plantage aushelfen müssen, nachdem mein Großvater den Herzinfarkt gehabt hatte...
Schließlich lächelte sie. »Naja, du bist eben immer wieder für eine Überraschung gut.«
Stephanie wohnte in einem Apartment außerhalb des Campus nicht weit von der Wohnung, die ich bald beziehen würde. Mit dem Geld von Bones würde ich daheim ausziehen können. Dann musste ich meine blutbeschmierten Klamotten nicht länger vor meinen Großeltern verbergen und mich auch nicht mehr mit unseren engstirnigen Nachbarn herumschlagen, die ohnehin nichts von mir wissen wollten. Ja, ich freute mich wirklich darauf.
Höflich klopfte ich an Stephanies Tür.
»Ich bin's, Cathy.«
So nannte ich mich am College. Jetzt hatte ich schon vier Namen. Wenigstens klangen sie alle ziemlich ähnlich.
Einen Augenblick später öffnete sie mir nur in BH und Rock die Tür.
»Ich ziehe mich gerade an. Komm rein.«
Ich folgte ihr nach drinnen und wartete an der Tür, während sie in ihr Schlafzimmer verschwand. Ihre Wohnung war überraschend hübsch, ganz anders als die üblichen Studentenbuden. Gegenüber dem Ledersofa stand ein Plasmafernseher. Ein großes Entertainment-Center, ein schickes Notebook und noch anderer, teuer aussehender Schnickschnack waren dekorativ in Szene gesetzt.
»Hübsch hast du's hier«, sagte ich ehrlich. »Wohnst du allein, oder hast du noch Mitbewohner?«
»Komm doch rein, ich kann dich kaum verstehen«, rief sie.
Ich wiederholte die Frage, als ich den kurzen Flur entlang in ihr Schlafzimmer ging. Stephanie stand vor ihrem Schrank und inspizierte dessen Inhalt mit spitzen Lippen.
»Häh? Oh, keine Mitbewohner. Dann erzähl mal ein bisschen von dir, Cathy. Ich weiß, dass du mit deiner Mom und deinen Großeltern zusammenwohnst, aber wo genau?«
»In einem winzigen Kaff eine Stunde nördlich von hier, von dem du vermutlich noch nie gehört hast«, antwortete ich und sah mich bewundernd in ihrem Schlafzimmer um, das mir sogar noch besser gefiel als das
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