Blutrote Kuesse
wegen des Mordes an dem Unbekannten hatte. Auch ich hatte nicht versucht, Charlie aufzuhalten.
Vielleicht war mein Tonfall deshalb so scharf.
Bones sah mich ungerührt an. »Nein.«
Ich hätte meinen Kopf gegen die Wand schlagen mögen. Eigentlich hatten wir heute Nacht einen Sieg errungen, aber es war ein Pyrrhussieg. Ein Unschuldiger hatte sein Leben gelassen, eine junge Frau ein unvorstellbares Trauma erlitten. Wir hatten keine Namen von anderen Beteiligten herausgefunden und lediglich die Gewissheit gewonnen, dass es nur schlimmer werden konnte.
»Was hast du mit ihm vor?«
Er legte ihn auf dem Rasen ab. »Ich lasse ihn einfach hier liegen. Ich kann nichts mehr für ihn tun. Durch das Feuer wird er schnell gefunden werden. Er bekommt eine anständige Beerdigung. Das war's.«
Es kam mir so unbarmherzig vor, den Mann einfach hier liegen zu lassen, doch Bones hatte auf praktische, wenn nicht sogar kaltblütige Weise recht. Wir konnten nichts mehr für ihn tun. Legten wir ihn vor einem Krankenhaus ab und hinterließen eine Nachricht, würde seine Familie nicht weniger leiden.
»Gehen wir«, sagte er knapp.
»Aber was ist mit Charlie? Willst du, dass er und Dean auch einfach von der Polizei gefunden werden?«, fragte ich weiter, als ich mich auf die Rückbank setzte, die Hand des Mädchens ergriff und wir davonrasten.
»Die Bullen?« Ein trauriges Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Du weißt doch, dass tote Vampire ihrem wahren Alter entsprechend verwesen. Deshalb sehen manche nach ihrem Tod aus wie beschissene Mumien. Die Bullen sollen erst einmal herausfinden, wieso ein vor etwa siebzig Jahren Verstorbener in ein Bettgestell geklemmt und angezündet wurde. Da werden ihre grauen Zellen ein paar Tage lang qualmen. Ich lasse Charlie außerdem aus gutem Grund so zurück. Hennessey soll wissen, wer ihn umgelegt hat, und das wird er, denn wenn wir wieder im Hotel sind, setze ich mich mit ein paar Leuten in Verbindung, um herauszufinden, ob auf das Schwein ein Kopfgeld ausgesetzt ist. Wenn ja, kassiere ich es, und er wird es erfahren. Er wird nervös werden und sich fragen, was Charlie mir verraten hat, und mit etwas Glück lockt es ihn auch aus seinem Versteck. Er wird mich endgültig zum Schweigen bringen wollen.«
Die Taktik war äußerst riskant. Hennessey war nicht der Einzige, der Bones gern als Madenfutter gesehen hätte. Nach allem, was Charlie gesagt hatte, wären noch etwa zwanzig andere Typen darüber erfreut gewesen.
»Wo bringen wir sie hin?«
»Einen Augenblick noch.« Er zog sein Handy hervor, tippte mit der einen Hand die Nummer ein und lenkte mit der anderen. Ich flüsterte dem Mädchen sinnlose Trostworte zu und dachte an meine Mutter. Vor vielen Jahren einmal war sie das Opfer gewesen. Die Umstände waren damals anders, aber anders gefühlt hatte sie sich bestimmt nicht.
»Tara, ich bin's, Bones. Tut mir leid, dass ich so spät noch anrufe... Ich muss dich um einen Gefallen bitten... Danke. Ich bin in einer Stunde bei dir.«
Unsere Blicke begegneten sich im Rückspiegel. »Tara wohnt in Blowing Rock, sehr weit ist es also nicht, und bei ihr ist das Mädchen in Sicherheit. Fast niemand kennt Tara, also wird Hennessey dort bestimmt nicht suchen. Bei ihr bekommt das Mädchen die nötige Hilfe, nicht nur körperlich. Ihr ist etwas ganz Ähnliches zugestoßen.«
»Sie ist einem Vampir zum Opfer gefallen?«
Bones wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Straße zu. »Nein, Süße. Es war nur ein gewöhnlicher Mann.«
Tara wohnte in einem Blockhaus in den Blue Ridge Mountains. Nur ein Privatweg führte dorthin. Ich war das erste Mal außerhalb von Ohio und betrachtete ehrfürchtig die steilen Abhänge, hohen, schroffen Felsen und die zerklüftete Landschaft. Unter anderen Umständen hätte ich Bones gebeten anzuhalten, damit ich alles auf mich wirken lassen konnte.
Eine Afroamerikanerin mit graumeliertem Haar erwartete uns auf der Veranda. Ihrem Herzschlag nach war sie ein Mensch, und Bones stieg aus und küsste sie auf die Wange.
Bei diesem Anblick verspürte ich einen Stich. Exfreundin? ()der gar nicht so ex?
Sie umarmte ihn ihrerseits und hörte dann zu, als er in groben Zügen erzählte, was dem Mädchen zugestoßen war. Namen nannte er allerdings keine. Zum Schluss schärfte er Tara noch ein, niemandem etwas von ihrem neuen Gast oder dem, der ihn gebracht hatte, zu erzählen. Dann wandte er sich mir zu.
»Kätzchen? Kommst du?«
Ich war mir nicht sicher gewesen, ob ich aussteigen
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