Blutrote Schwestern
Katzenminze. Ich rümpfe die Nase.
»Danke.« Silas seufzt erleichtert. »Ich kann Wölfe jagen, aber mit einer Katze komme ich nicht klar. Nicht gerade sehr männlich, was?«
»Ich werde es niemandem verraten«, antworte ich mit einem sanften Lächeln, das er zurückgibt.
Hinter mir klingelt der Timer am Ofen, und ich beeile mich, den erotischen Hackbraten aus der heißen Röhre zu holen.
Scarlett trottet frisch geduscht die Treppe herunter. Wenn man nicht direkt nach der Jagd duscht, kriecht einem der Fenris-Geruch irgendwie unter die Haut, und man wird ihn Ewigkeiten nicht mehr los. Ihr Haar ist aus dem Gesicht gestrichen, und ihre Augenklappe fehlt. Eine lange, diagonale Narbe verläuft vom Scheitel, über die Stelle, wo ihr Auge sein sollte, bis über den hohen Wangenknochen. Sie würde es niemals zugeben, aber sie schämt sich wegen ihrer Narbe. Eigentlich kann ich mich nicht erinnern, dass sie, außer vor mir und Silas, jemals die Augenklappe abgenommen hätte. Sie wirft mir eine Art entschuldigenden Blick zu, aber ich schaue weg.
»Fernseher?«, fragt Silas.
Scarlett nickt zur Antwort, und er schaltet den Nachrichtensender ein, als hätte er uns niemals verlassen. Wir beginnen zu essen, während Scarletts Aufmerksamkeit von einer Mordserie in Atlanta gefangen ist. Der Großteil der Welt beachtet die Fenris nicht, und das, obwohl es sie höchstwahrscheinlich schon seit Jahrhunderten gibt. Dennoch kann man in den Nachrichtensendungen eine ganze Menge über sie erfahren. Einige Leute denken bei einer Mordserie oder einem mysteriösen Verschwinden an die Tat eines Verrückten. Wir dagegen sehen einen Fenris, der geschlampt hat. Die Wahrheit ist, dass es ein gut getarnter Mord eines Fenris meist nicht einmal bis in die Nachrichten schafft. Außer das weibliche Opfer war außergewöhnlich hübsch oder seine Familie besonders reich. Es wird einfach verschwiegen, ein weiteres Aktenzeichen in der Statistik vermisster junger Frauen.
Als die Berichterstattung zu einem politischen Sexskandal überschwenkt, schaltet Scarlett den Fernseher aus und sieht Silas an. »Willst du wieder anfangen, mit uns zu jagen, jetzt, wo du zurück bist?« Ihre Stimme ist voller Nachdruck, und wenn ich Silas wäre, hätte ich Angst, nein zu sagen.
Auf welche Antwort ich hoffe? Ich bin mir nicht sicher. Ich habe schon tausendmal zuvor mit Silas gejagt, aber in der Vergangenheit endete es meist so, dass ich im Hintergrund stand, während er und Scarlett gemeinsam kämpften. Ein Miteinander von Bewegung und Entschlossenheit, dem ich, meinem Gefühl nach, nie gleichkommen konnte. Wird sich auch das ändern? So wie Silas sich verändert hat?
Er zuckt mit den Schultern. »Klar. Wenn sie schon in so kleinen Orten wie Ellison auftauchen, gibt es wohl zu viele Wölfe in den nahegelegenen Städten.«
Dann spricht Silas über San Francisco, und er tut es mit solcher Ausführlichkeit, dass ich glaube, er versucht die Luft mit Worten zu füllen, um nur ja ein Schweigen zu vermeiden. Ein peinliches Schweigen vielleicht. Ich weiß nicht,
warum
ich die Stille zwischen uns mit einem Mal fürchte, aber wann immer ich Silas in die Augen schaue, spüre ich sie. Spüre, wie sie wartet, wie sie versucht herauszuschlüpfen, um mich verlegen zu machen. Während ich seinem Blick ausweiche, bleibe ich an seinen geschwungenen Brauen und bogenförmigen Lippen hängen, wann immer er wegschaut. Der Versuch, Peinlichkeiten zu vermeiden, lenkt mich größtenteils davon ab, neidisch zu sein – Silas hat andere Städte gesehen, ist durch das Land gereist, hat Abenteuer erlebt. Und ich? Ich sitze nach wie vor hier in Ellison fest.
»Du kannst heute Nacht hierbleiben, wenn du willst«, bietet Scarlett ihm an, als sie ihren leeren Teller in die Spüle stellt. »Ich kann mir vorstellen, dass dein Haus in Staub versinkt.«
Er lacht, tief und warm. »Ich habe auf dem Weg hierher zwei Wochen im Wagen geschlafen. Und davor auf Jakobs Sofa. Glaub mir, Staub ist in Ordnung.« Er steht auf, schiebt seinen Stuhl an den Tisch zurück. »Danke für das Angebot, aber ich muss los.«
»Jagen wir dann morgen?«, fragt Scarlett.
»Vielleicht. Aber um ehrlich zu sein: Ich glaube, ich werde mich morgen zuerst um den ganzen Hauskram kümmern. Ein riesiges Haus überschrieben zu bekommen hört sich toll an, bevor man feststellt, dass man die Schindeln und so gut wie alles andere ersetzen muss. Langsam glaube ich, dass sich Pa Reynolds in dem Pflegeheim deswegen kaputtlacht. Das
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