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Blutrote Schwestern

Blutrote Schwestern

Titel: Blutrote Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jackson Pearce
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immer sie versuchten, die Höhle zu verlassen, sahen sie große, dunkle Monster an der Wand. Hans und Maria wussten es nicht, aber die Monster waren nur Schatten.«
    »Wieso hatten sie Angst vor Schatten?«, wollte Rosie wissen.
    »Weil sie nicht wussten, dass die Monster bloß Schatten waren, ma pucette . Sie dachten, es wären lebende Monster, die sie verletzen würden, wenn sie zu dicht herankämen. Jedenfalls kam eines Tages ihre Großmutter in die Höhle. Sie nahm Hans und Maria bei den Händen und führte sie zu den Monstern und erklärte ihnen dann, dass es nur Schatten waren. Ganz so wie diejenigen an unseren Wänden hier.« Oma March zeigte auf die gegenüberliegende Wand, an der die Zweige einer Crêpe Myrte fingerartige Schatten auf die Tapete warfen.
    »Dann«, fuhr sie fort, »nahm die Großmutter die Kinder mit hinaus ins helle Sonnenlicht.
    Es schmerzte und brannte in ihren Augen, weil sie zum ersten Mal die Sonne sahen, nachdem sie so lange in der Dunkelheit gelebt hatten. Tatsächlich schmerzte es so sehr, dass Hans dachte, er müsse träumen. Er entschied, dass die Sonne und die Schatten nur ein Traum seien und dass die Höhle und die Monster real sein müssten. Also rannte er zurück in die Höhle, in dem Glauben, dass ihm seine Großmutter etwas vorgaukelte. Maria dagegen blieb bei der Großmutter im Sonnenlicht, und obwohl es schmerzte, wartete sie, bis sich ihre Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten.« Oma March lächelte. »Also, mes petites poulettes , wer hat die weisere Wahl getroffen? Hans, der sich weigerte, an den Sonnenschein zu glauben, weil er fremdartig und unbekannt war? Oder Maria, die ihren Augen Zeit ließ, sich an das Licht zu gewöhnen?«
    Natürlich habe ich damals nicht verstanden, dass Oma March mit uns über Plato sprach, aber die Geschichte veränderte meine Sicht auf den Sonnenschein für immer. Ich blicke hinunter auf den Schatten, den ich quer über die Karottenreihen werfe, die Rosie und ich vor ein paar Wochen gemeinsam gepflanzt haben. Selbst im Schatten kann man die Wölbungen der Narben auf meinen Armen erkennen. Meine Narben sind mein Sonnenlicht: Ich kenne die Wahrheit über die Fenris, während so viele andere auf der Welt immer noch in der Höhle leben – in totaler und glückseliger Ignoranz.
    Gott, manchmal beneide ich sie. Um den Frieden, einfach mit ihrem Leben weiterzumachen, ohne von den Monstern zu wissen, die in ihrer Mitte lauern. Aber ich kann nicht Hans sein. Wie könnte ich auch nur versuchen zu behaupten, das Sonnenlicht existiere nicht, wo es mir doch so viel genommen hat?
    Und ich bin nicht dumm – ich erkenne, was ich aufgebe. Zuerst war da nur das Verlangen, alle Wölfe in Madison zu töten. Als das erledigt war, begannen Rosie und ich, in nahe gelegenen Städten zu zelten. Wir unternahmen manchmal nächtliche Ausflüge nach Atlanta und bekämpften die Wölfe dort. Je weiter wir reisten, umso erfolgreicher waren wir – bis die Wölfe zurück nach Ellison kamen. Ich hole Luft, lasse die kalte Morgenluft durch meine Lungen strömen, gehe dann zum Haus zurück.
    Als die Fliegentür hinter mir zuschlägt, halte ich inne. Etwas ist anders. Ich runzele die Stirn und sehe mich im Raum um, die Sinne aufs Äußerste angespannt. Da – die Tür zu Oma Marchs Schlafzimmer steht einen Spaltbreit offen.
    Ich gehe vorwärts, bereit für das, was auf der anderen Seite lauern mag. Greife mir ein Küchenmesser aus dem Block und schleiche mich durch den Raum, die Augen auf Oma Marchs Tür gerichtet. Als ich sie erreiche, warte ich einen Augenblick, warte darauf, dass das Geräusch wilden Atems an mein Ohr dringt und Leichengeruch mir in die Nase sticht, um mich vor dem Wolf auf der anderen Seite zu warnen.
    Aber da ist nichts. Kein Geruch, kein Geräusch. Nichts. Bleibt mir nur, die Tür zu öffnen und mich auf den Kampf vorzubereiten. Ich mache mich bereit.
    Ich zähle bis drei. Reiße die Tür auf.
    Rosie schreit, als ich auf sie zustürme, bremst meinen Ansturm. »Gott, Scarlett, du hast mir einen höllischen Schrecken eingejagt.«
    Ich seufze mit hämmerndem Herzen, senke das Küchenmesser.
    »Klette ist einer Spielzeugmaus hinterhergelaufen«, erklärt sie mir. Ihre bloßen Füße streichen über den Punkt, an dem es passiert ist. »Ich wollte dir keine Angst einjagen.«
    Ich schüttele den Kopf, das Haar klebt mir schweißnass an der Stirn.
    »Du brauchst nichts zu erklären. Das ist auch dein Haus – du kannst gehen, wohin du willst«, antworte

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