Blutrote Schwestern
hämmert vor Wut, Frustration und Erinnerung. Ich will ihn töten – nicht nur ihn, das ganze Rudel. Ich will sie büßen lassen, mehr als jeden anderen Fenris, und der Drang, jetzt zu handeln, bevor er sich verwandelt, vernebelt mir den Verstand.
Konzentrier dich, Scarlett. Verhindere, dass dieses Rudel anderen antut, was es dir angetan hat.
Der weinende Mann hinter uns macht einen Schritt auf das panische Mädchen zu, aber der Wolf holt scharf genug Luft, um ihn auf seinem Weg zu stoppen.
»Du schuldest mir immer noch drei«, knurrt der Fenris, während er mit einem eher wölfischen als menschlichen Gang über den Boden schleicht. Ein böses Grinsen lässt sein Gesicht zur Fratze werden. »Aber wir können mit diesen hier anfangen.« Er wirft mir einen weiteren angewiderten Blick zu und wendet sich dann an Rosie, die den Kopf noch immer gesenkt hält.
»Du magst das Reh nicht, Liebling?«, fragt der Fenris sie. Seine Stimme trieft vor Grausamkeit. »Das ist nicht sehr nett von dir. Vielleicht möchtest du es streicheln?«
Er bewegt sich, viel zu schnell für einen Menschen. Die rechte Hand, die das Rudelzeichen trägt, schießt vor. Er greift Rosies Handgelenk so fest, dass sie später einen blauen Fleck davon bekommen wird. Sie schreit gequält auf und schaut weg.
»Los, tätschel es«, flötet er mit dunkler Stimme und lehnt sich dabei so nah zu meiner Schwester, dass sein Atem ihr das Haar aus dem Gesicht bläst. Dann verstärkt er seinen Griff um ihr Handgelenk, zieht ihre Hand nach unten, hinab zu dem grotesk verbogenen Nacken des Rehs. Rosie wimmert vor Schmerz. Der Fenris grinst. Meine Wut wächst ins Tausendfache. Niemand darf meiner Schwester weh tun. Ihre Finger zittern, als er sie vorwärts drückt, und ihre Nägel streichen schließlich über den Kadaver des Tieres. Dann hebt sie den Kopf und blickt ihm direkt in die Augen.
»Du«,
zischt er.
»He!«, blaffe ich ihn an. Die Augen des Fenris wenden sich mir zu, und seine Lippen kräuseln sich zu einem wütenden Knurren.
»Fass meine Schwester nicht an«, schnarre ich.
»Oh, das werde ich«, knurrt er. »Und dann dich …« Er beendet den Satz nicht, da Rosie ihm mit voller Wucht in die Weichteile tritt und ihm dann einen Schlag aufs Ohr verpasst. Überrascht heult er auf, sein Atem ist schwer, abgekämpft, wie bei einem Tier. Ich greife unter meinen Mantel, um mein Beil zu ziehen, aber noch ehe ich es erheben kann, springt er außer Reichweite. Rosie greift nach ihren Messern, und die Augen des Fenris schießen wild zwischen uns hin und her.
Dann dreht er sich um und rennt los.
Rosie und ich jagen ihm nach, ducken uns unter Zweigen und Dornen hinweg. Ich signalisiere ihr:
Geh nach rechts!,
und schlage mich selbst nach links durch. Die Schritte des Fenris klingen noch immer nach zwei Füßen statt nach vieren. Wie eine Surferin rutsche ich einen Abhang auf einer Welle aus nassen Blättern hinunter. Mein Herz pocht laut, treibt mich an, schneller, schneller. Er kann nirgends hin; denn Silas harrt in der einen Richtung auf ihn, Rosie in der anderen, und ich bin hier. Er gehört mir. Es kümmert mich nicht, wie stark Pfeile sind. Er gehört mir. Ich renne schneller, springe über eine Felsformation und suche den Wald ab. Sie sind gut darin, sich zu tarnen, aber die Jahre der Jagd haben mich gelehrt, nach ihren Umrissen im toten Laub Ausschau zu halten. Da ist er. Halb Monster, halb Mensch, ich kann zotteliges Fell erkennen, das beginnt, seinen Rücken hinabzukriechen, und durch sein Hemd bricht. Er blickt auf, sieht mich, gerade als ich von einigen Felsblöcken herabspringe, und seine Zähne werden zu langen gelblichen Fängen.
Mit schnellen, schweren Schritten stampft er auf mich zu, in ihm nichts mehr außer geifernder, gieriger Wut. Ich schwinge das Beil in meiner rechten Hand, sehe hinter dem Fenris Silas auf mich zurennen, schnell wie ein Fuchs, um Bäume herum und über Sträucher hinweg. Rosie wird nicht weit hinter mir sein.
Ich rolle mich zur Seite, während der Fenris mit einem markerschütternden Grollen auf den Lippen nach mir schlägt. Als er sich umdreht, hole ich aus und lasse das Beil auf ihn niedersausen. Es versinkt in seiner Seite, und ich erhasche einen Blick auf seine weißen Rippen. Er heult auf vor Zorn und Schmerz, seine Augen flackern wütend. Dann stürzt er sich wieder auf mich, aber ich bin schneller und schlage ihm aus der Drehung heraus die Füße unter dem Leib weg. Als seine lange Schnauze sich in den Boden
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