Blutrote Schwestern
bohrt, springe ich davon und hebe dabei mein Beil vom Boden auf.
Ein schrilles Pfeifen schneidet durch die Luft. Als ob es sich einfach materialisiert hätte, erscheint Rosies Messer, bis zum Heft versunken, im Gesäß des Fenris. Ich blicke nach rechts und sehe sie durch das Unterholz brechen, dann schwinge ich mein Beil und erwische den Wolf an der Schulter. Er springt auf und versucht zu fliehen, doch sein gezeichneter Körper bricht alle paar Schritte zusammen. Ein paar Baumgruppen weiter kann er sich noch schleppen, ehe Silas hinter einer dicken Eiche hervorspringt und ihm einen gezielten Tritt an den Kiefer verpasst. Der Wolf wirft sich nach vorn und schafft es, seine Vorderzähne in Silas’ Arm zu versenken, aber jetzt habe ich die beiden erreicht. Gerade als Silas zusammenzuckt und den Wolf von sich stößt, lasse ich mein Beil niedersausen und ramme es fest in den Rücken des Wolfs. Das Rudelzeichen ist immer noch unter dem spärlichen Fell am Knöchel zu erkennen: ein schwarzer Pfeil.
Da sind sie wieder, die Bilder vor meinem inneren Auge, die ich nie vergessen kann – Oma Marchs geweitete Augen, der Schatten unter der Tür, das Scharren von Krallen auf dem Holzfußboden, das Gefühl, wie Rosie sich an mich klammert. Ich ziehe das Beil heraus und versenke es erneut tief im Rücken des Fenris, genau so, wie ich es vor Jahren mit der Spiegelscherbe gemacht habe. Der Wolf reagiert schnell, schiebt mich fort, versucht seine Kräfte zu sammeln.
Das werde ich nicht zulassen.
Ich stürze mich noch einmal auf ihn, und der Wald verschwimmt um mich herum. Ich will, dass er leidet. Ich will, dass er spürt, wie er zerrissen wird. Ich will ihm sein Auge nehmen, wie einer von seinem Rudel mir mein Auge genommen hat. Ich versuche ihm das Gesicht aufzuschlitzen, aber er weicht zurück und schlägt mich mit einer schweren Pranke. Mein Mund füllt sich mit Blut, und Rosie oder Silas – ich bin mir nicht sicher, wer – greift nach meinem Mantel und versucht mich wegzuziehen.
Nein, nein.
Ich schüttele sie oder ihn ab und hechte auf den Wolf zu. Er atmet schwer, versucht zu überleben, aber der Hass und der Hunger lauern immer noch in seinem Blick. Die langen Kiefer vorgestreckt, prescht er los, schnappt nach meiner Hüfte und versucht ein Stück herauszubeißen. Ich drehe mich und schiebe den Kopf meines Beils aufwärts in seine Brust. Er brüllt vor Zorn, aber ich bin noch nicht mit ihm fertig. Pfeile lassen die Leute nicht einfach sterben – sie bekämpfen jeden einzelnen Zentimeter Leben, den ihre Opfer besitzen. Genau so werde ich es mit ihm machen. Ich gehe einen Schritt nach vorn und raffe an Stärke zusammen, was mir geblieben ist, für einen weiteren Hieb.
»Scarlett,
hör auf!
«, schreit Silas, dann tritt er mir in den Weg und schubst mich sanft. Ich bin total erschöpft, es ist genug – keuchend breche ich an einem Baum zusammen. »Er stirbt. Riskiere es nicht, verletzt zu werden, um gegen einen sterbenden Fenris zu kämpfen.«
Ich japse nach Luft, suche den Wald nach meiner Schwester ab. Sie tritt hinter mich und legt eine Hand auf meine Schulter. Ihre Berührung besänftigt die Wut, die immer noch wie ein Sturm in meinem Herzen tobt. Ich habe den Wolf schon getötet, habe einen weiteren aus dem Pfeil-Rudel getötet. Das ist genug.
»Richtig«, antworte ich Silas schließlich und nicke. »Entschuldigung, ich wollte nur …« Ich weiß nicht einmal, was ich sagen soll. Also schüttele ich den Kopf und spähe über Silas’ Schulter, wo das Biest sich vergeblich bemüht, wieder auf die Beine zu kommen. Es begegnet meinem Blick, knurrt und wirft dann Rosie einen langen, hungrigen Blick zu.
Silas stürmt zu ihm hinüber und reißt Rosies Messer aus seinem Gesäß. Der Wolf erschaudert, und das Fell auf seinem Rücken beginnt wieder in seine Haut zurückzukriechen. Eine Transformation? Jetzt, da er nur noch wenige Augenblicke vom Tod entfernt ist? Wieso die wenige Kraft, die er noch hat, dafür verschwenden? Ich trotte vorwärts, als Rosie sich bei mir einhakt. Er schnappt nach uns mit einem grauenhaften menschlichen Mund, in dem die Wolfszähne blitzen.
Silas kniet nun vor ihm und hält dem Biest das Messer an die Kehle. »Wieso jagt das Pfeil-Rudel in Ellison?«, fragt er mit tiefer Stimme.
Der Fenris grinst, zu breit für einen Menschen. Blut rinnt durch den spärlichen Rest Fell in seinem Gesicht. Silas drückt ihm das Messer in die Haut.
»Die Phase steht kurz vor dem Beginn«, erwidert
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