Blutrote Schwestern
oder einer Frau ist sein oder ihr Schloss.«
»Das bedeutet nicht, dass ich Anrecht auf Frondienste hätte«, sagte Oma March mit verschränkten Armen.
Pa Reynolds grinste. »Aber ich bin Euer bescheidener Diener, meine Königin.«
Sie lagen vom Alter her dicht beieinander und flirteten immer auf freundliche Art miteinander. Zurückblickend denke ich, es war völlig normal, dass sie sich trösteten. Silas’ Mutter Celia war gestorben, als Silas acht Jahre alt war, und Pa Reynolds’ Bruder Jakob – der Einzige seiner sieben Geschwister, der noch in Ellison war – war so viel jünger, dass er eher so etwas wie ein weiteres Kind war. Es schien mir, als suche Pa Reynolds Kameradschaft und Verständnis bei Oma March, selbst wenn sie oft einen schulmeisterlichen Tonfall am Leibe hatte, der uns zusammenzucken ließ.
Während ich Klette streichele und müde auf die verrosteten Leitungen an der Decke starre, frage ich mich, was Pa Reynolds wohl machen würde, um diesen Ort behaglicher zu gestalten. Draußen läuten die Glocken der baufälligen Kirche zur vollen Stunde – kleine, schrille mechanische Geräusche, die eher misstönend als friedvoll klingen. Klette faucht wegen des Lärms, und ich seufze. Ob Pa Reynolds diesen Ort in ein Schloss verwandeln könnte? Ich bin mir nicht sicher. Aber wer weiß: Vielleicht kann Silas das.
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Kapitel 7
Scarlett
I n dieser Stadt kann ich die Fenris überall um mich herum spüren. Als hätten sie jede Oberfläche berührt, jeden Weg. Alle Straßen sind ein verschwommener Malstrom aus Metall, Glas und Mensch. Es ist so unglaublich anders als Ellison. Hier starren mich die Leute nicht an. Sie starren niemanden an – sie blicken stur geradeaus und eilen ihrem Ziel entgegen, als gäbe es keine wichtigere Mission auf dieser Welt. Ich vermute, das ist etwas, das uns eint.
Die Pfandleihe ist schäbig, vollgestopft mit Dingen, die nach dem Zuhause anderer Menschen riechen: Weichspüler, Zigaretten, Kochgewürze. Ich schlängele mich zur Vorderseite des Ladens durch, auf einem winzigen Fernseher schaut ein Mannweib gelangweilt die
Jerry Springer Show.
Ich schiebe ihr zwei Armreifen über den Tresen und tauche ein paar Augenblicke später wieder aus der Pfandleihe auf, ein dünnes Bündel gefalteter Scheine in der Hand.
Die Dämmerung scheint ewig zu währen. Ist die Sonne erst einmal untergegangen, erobern Millionen von Lichtern die Straßen. Jedermann und jedes Ding taucht ein in den Schein der Neonreklame, der Scheinwerfer und Glitzerfassaden. Ich verliere mein Zeitgefühl, bin nicht in der Lage, mithilfe der Sonne oder des Mondes die genaue Uhrzeit zu bestimmen. Auf dem Weg in eine U-Bahnstation starre ich auf die ineinandergesprayten Graffiti an der Wand und durchforste meine Taschen nach ein oder zwei Münzen, um sie einem älteren Schwarzen zu geben, der auf umgedrehten Eimern trommelt. Sein Gesicht ist fast genauso vernarbt wie das meinige, obschon ich bezweifele, dass seine Narben von einem Wolf stammen.
»Scheiße, Mädchen. Hat dir das dein Mann angetan?«, sagt er und starrt auf die Narben an meinen Armen und die wenigen, die unter meiner Augenklappe und den Haaren herauslugen. Irgendwie ist seine Taktlosigkeit tröstlich, mehr als die Seitenblicke die mir die meisten Mädchen zuwerfen, die erschrockenen Blicke, wenn sie ihr eigenes liebreizendes, narbenfreies Gesicht berühren. Aber mit diesem Typen hier? Es ist nicht nötig, sich zu verstecken, wenn jemand bereits herausposaunt hat, dass er dich wahrnimmt.
»Nicht wirklich«, antworte ich und schnippe ein paar Vierteldollarmünzen in den Kaffeebecher zu seinen Füßen. »Und in den Arsch getreten habe ich ihm sowieso.«
»Gut für dich, gut für dich, Spätzchen«, sagt er und trommelt eine weitere komplizierte Sequenz.
Ich verlasse die U-Bahn und sehe die letzten Ausläufer der Dämmerung am Horizont der Stadt verblassen. Der Karte in der U-Bahnstation nach sollte ich nur einen Block entfernt vom Park sein. Neben mir ragt die Bibliothek auf, riesig und beeindruckend, klassisch und seltsam fehl am Platz zwischen all dem Silber und Grau. Leider schließt sie schon am frühen Abend. Ich mag Bibliotheken. Es ist beruhigend, dass Wissen so lange erhalten werden kann. Dass das, was wir erkennen und verstehen, weitergegeben werden kann.
Ich schlendere ein paar Blocks weiter, bis am Ende der Straße die Bäume des Piedmont Park zu sehen sind. Sie erscheinen mir irgendwie stolzer als die Bäume zu Hause – als
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