Blutrote Sehnsucht
bedeutete, dass sie Erich irgendwie von Maitlands vertreiben musste.
Der Friedensrichter! Squire Fladgate hatte die Macht, eine Heiratslizenz für ungültig zu erklären, oder etwa nicht? Auch er konnte nicht wollen, dass Maitlands einem Außenseiter in die Hände fiel, schon gar nicht einem solch despotischen wie Erich. Nach dem Intermezzo im Gefängnis brachte er ihrem Cousin bestimmt keine Sympathien mehr entgegen. Aber war er besorgt genug, um zu versuchen, ihm einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen? Das würde sie herausfinden müssen. Es war ihre einzige Chance.
15. Kapitel
A nn hatte kein Auge zugetan. Die Sonne stand schon am Himmel, und sie wanderte immer noch nervös in ihrem Zimmer auf und ab. Aber wenn sie das Haus je wieder verlassen wollte, musste sie es jetzt wagen. Auf der Stelle, damit sie Erich vielleicht noch überrumpeln konnte. Auf leisen Sohlen lief sie zur Zimmertür und warf einen Blick hinaus. Das Treppenhaus war leer. Von irgendwoher hörte sie Stimmen. Erich befahl Polsham bereits, den Geheimgang zu vernageln.
So schnell sie konnte, eilte sie die Treppe hinunter. Wenn sie es bis zu den Ställen schaffte ... Ein weiterer Treppenabsatz, an Erichs Zimmer vorbei, und sie befand sich im ersten Stock. Über das Geländer des Korridors lugte sie zu der breiten, gewundenen Treppe hinunter, die zur Eingangshalle führte. Es schauderte sie bei dem Gedanken an das Geräusch, das ihre Schritte auf den wundervollen Marmorplatten dort unten erzeugen würden. Bestimmt würde Erich sie erwischen! Und durch die Küche konnte sie nicht gehen, weil aus dieser Richtung die Stimmen kamen. Die beiden Männer stritten mittlerweile miteinander. Gut gemacht, Polsham!, dachte sie. Und die Glastüren in der Bibliothek? Sie führten zur Terrasse. So schnell sie konnte, huschte Ann die Treppe hinunter, bog nach rechts ab in den Großen Salon mit seinen verstaubten Möbeln und durchquerte ihn auf leisen Sohlen, um zur Bibliothek zu gelangen und von dort ins helle Morgenlicht hinauszutreten.
Früher hatte Maitlands eine Belegschaft von etwa fünfzig Bediensteten benötigt, Gärtner, Stallknechte, Diener, Hilfsköche und so weiter. Heutzutage aber war es still auf dem Besitz. Der Fischteich in der Mitte des bepflanzten Gartens war trüb und schmutzig, von der Form der einst so kunstvoll gestutzten Hecken war kaum noch etwas zu erkennen. Maitlands Abbey lag im Sterben ...
Ann raffte ihre Röcke und lief über die gepflasterte Terrasse. Eine leise Stimme sagte ihr, dass es für Maitlands vielleicht besser wäre, wenn sie ginge, weil sie der Grund war, dass sich so wenig Dienstboten finden ließen, um es aufrechtzuerhalten.
»Jennings«, keuchte sie, als sie in die riesige Scheune huschte, in der jetzt nur noch Kutschpferde und das alte Reitpferd ihres Onkels standen. »Jennings, sind Sie hier?«
Er steckte den Kopf aus der Sattelkammer, ein Stück Seife und einen Lappen in der einen Hand. Sein breites, offenes Gesicht war zerknittert vor Besorgnis. »Miss Ann? Was kann ich für Sie tun?«
»Könnten Sie ... meinen Wagen für mich anspannen? Ich muss dringend etwas erledigen.« Sie bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen.
»Nun, dann lassen Sie sich doch von mir in der Kalesche fahren, Miss. Das wäre auch schicklicher.« Er trug blank polierte Stiefel, eine gelbbraune Reithose und ein weißes Hemd. Sein flaschengrüner Uniformrock hing an einem Haken an der Sattelkammertür.
»Das ist nicht nötig, Jennings«, sagte sie mit einem erzwungenen Lächeln. Sie wollte ihn nicht in diese Sache hineinziehen. Falls Erich mit seinen Plänen durchkam und der Herr auf Maitlands wurde, würde Jennings Einmischung Konsequenzen haben. »Der kleine Wagen reicht mir, und Sie wissen ja, wie gut ich damit umgehen kann.« Sie hatte sogar ihr eigenes Geschirr dafür, das Jennings pflegte. Deshalb wusste sie, dass er absolut vertrauenswürdig war, denn das verriet ihr schon das Leder, das so oft durch seine Hände ging.
Er musste die Verzweiflung in ihren Augen gesehen haben, denn er nickte kurz, legte Seife und Lappen auf einen Stuhl und ging in die Sattelkammer, um das Geschirr zu holen. Noch keine zehn Minuten später stieg Ann auf ihren Wagen und nahm die Zügel in die Hand.
»Danke, Jennings«, murmelte sie.
»Seien Sie vorsichtig, Miss«, rief er ihr noch nach, als sie die Zügel auf den Rücken des Haflingers klatschen ließ und den Wagen aus dem Stallhof lenkte.
Der Wohnsitz des Friedensrichters befand sich auf der
Weitere Kostenlose Bücher