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Blutrote Sehnsucht

Blutrote Sehnsucht

Titel: Blutrote Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Squires
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hierhergeschickt worden, ins Hinterland und auf diese aussichtslose Suche, wie seine Vorgesetzten meinten. Und der Verdacht traf zu, sah Ann, als Steadlys Leben in Sekundenschnelle vor ihrem inneren Auge ablief: Er hatte eine entbehrungsreiche Kindheit gehabt, bevor er von einem Gönner aufgenommen und erzogen wurde, dessen Freunde ihn seiner Herkunft wegen jedoch ablehnten, bis er schließlich seinen Platz in der Bow Street fand. Dann seine Ernüchterung darüber, dass sogar dort Korruption herrschte, bis er schließlich selbst bestechlich wurde, seine Scham darüber und seine unentwegte Verleugnung dieser Scham ... All das überflutete Ann wie ein Wasserfall.
    Als sie sah, wie sich Steadlys Augen weiteten, riss sie sich mit schier übermenschlicher Anstrengung von ihm los und taumelte zur Seite.
    »Was soll das, Mädchen?«, fuhr der Richter sie an und zog sie wieder zurück.
    Selbstgefälligkeit! Verbitterung über den Tod seiner Frau. Fladgates Wut und Verwirrung, weil er nicht wusste, wie er mit seinem Sohn umgehen sollte, der sich in London vergnügte und in den übelsten Vierteln der Stadt verkehrte. Die Entschlossenheit des Richters, seine Position in Cheddar Gorge durch diese unschöne Geschichte nicht schädigen zu lassen.
    Ann stieß einen Schrei aus. Fladgate hatte sie von sich gestoßen, als hätte er sich an ihr verbrannt. Sie taumelte durch die Menge und stieß gegen Mrs. Scrapples und dann noch gegen Mr. Watkins. Die Frau hasste sie, hasste Mr. Watkins und hasste praktisch Gott und die Welt. Ann spürte Eifersucht ... und Krankheit. Mrs. Scrapple würde binnen eines Monats sterben. Der Besitzer des Hammer und Amboss fand Ann hübsch und stellte sie sich gerade nackt im Heu liegend vor. Er wollte sie haben, wusste aber, dass er nicht in der Lage dazu war. Zu seiner Schande ließ sein Körper ihn jedes Mal im Stich.
    So viele unterschiedliche Empfindungen durchströmten Ann, dass sie befürchtete, ohnmächtig zu werden. Sie riss sich von der Menge los und stolperte in die Gasse hinter dem Rathaus, wo sie keuchend innehielt. Als ihr auch noch übel wurde, ging sie in die Hocke, stützte sich auf die Knie und ließ den Kopf hängen. Die leisen Laute, die ihr in die Ohren drangen, waren ihre eigenen. »Lasst mich ... in Ruhe«, flehte sie.
    Niemand bedrängte sie jetzt mehr. Sie konnte nichts mehr hören und versuchte verzweifelt, ihr geistiges Gleichgewicht nicht zu verlieren. Schließlich blickte sie wieder auf. Mrs. Scrapples Gesicht war stark gerötet und zerknittert. Nach und nach drangen wieder Geräusche zu Ann durch. Die Frau heulte. Der Wirt stand zitternd da und deutete mit ausgestreckter Hand auf Ann. Andere in der Menge bewegten sich nervös. Das allgemeine Gemurmel wurde immer aufgebrachter. Schließlich richtete Ann den Blick wieder auf den Friedensrichter. Seine Gesichtszüge waren erschlafft, die Augen leer, und seine Brust hob und senkte sich unter mühsamen Atemzügen. Dann richtete auch er den Blick auf sie.
    »Sie ... Sie!«, sagte er anklagend. Er schluckte. »Man sollte Sie einsperren. Sie sind eine Gefahr für alle.«
    »Ich ... ich muss mit Ihnen reden«, keuchte sie. Aber noch während sie sprach, wusste sie schon, dass es sinnlos war.
    Squire Fladgate straffte die Schultern. »Steigen Sie in Ihren Wagen. Ihr Onkel muss auf Sie achtgeben, bis wir eine dauerhafte Lösung finden.«
    Anns Herz verkrampfte sich. Dauerhafte Lösung?
    »Bringt mir mein Pferd«, krächzte der Richter. Als der Wirt sich nicht rührte, sprang Jemmy ein und holte das Tier. Die Menge strömte nun zur Vorderseite des Rathauses, wobei sie jedoch einen großen Bogen um Ann machte, die ihnen wie benommen folgte.
    »Jemmy, du fährst den Wagen«, ordnete der Richter an. »Steigen Sie hinten ein, Miss!«
    Mühsam zog sie sich in ihren Einspänner und fiel auch prompt auf den Ellbogen, weil sie noch immer schwankte von der Flut der Bilder, die sie überfallen hatten. Ein Armesünderkarren, dachte sie. Der Wagen fühlte sich an wie ein Armesünderkarren, der einen Gefangenen zum Galgen bringt. Der Richter hievte sich in den Sattel eines Kastanienbraunen.
    Als sie am Hammer und Amboss vorbeikamen, nahm Ann einen Hauch von Zimtgeruch wahr. Stephan? Sie war sich nicht ganz sicher. Der Geruch war ... anders. Die süßliche Ambra-Nuance war ausgeprägter. Ann reckte den Kopf, um über die Seite des Wagens hinausschauen zu können. Dort, in der Tür der Taverne, standen zwei Frauen, eine groß, die andere kleiner und

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