Blutrote Sehnsucht
erscheinen, das seine Augen jedoch nicht erreichte – ein Lächeln, wie Ann es noch nie gesehen hatte. »Jetzt nicht mehr, meine süße kleine Irre«, sagte er und schwenkte das zusammengerollte Papier vor ihren Augen. »Die Sondererlaubnis für unsere Heirat. Und heute gab auch dein Onkel seinen Segen zu unserer Verbindung. Deine Dienstboten wissen, dass wir, nach einem kurzen Besuch morgen Nachmittag bei Reverend Cobblesham, um die Arrangements zu treffen, am Donnerstagnachmittag in den heiligen Stand der Ehe treten werden.«
»... und dass mein Vermögen an dich übergehen wird.«
Wieder dieses Lächeln. »Und nicht nur das. Ab Donnerstagnacht gehört mir auch dein Körper.«
Ann kamen die Tränen. »Du kannst mein Vermögen haben. Ich werde dir keine Schwierigkeiten machen. Aber ...« Das Wort blieb ihr in der Kehle stecken, sodass sie es erneut versuchen musste. »Aber bitte ... verlang von mir keine Intimitäten, Erich!«
»Ich soll als Ehemann nicht meine Rechte wahrnehmen? Dein Hochmut mir gegenüber hat mich nicht zur Zurückhaltung inspiriert, falls du das glaubtest.«
»Ich werde nicht hochmütig sein. Und auch nicht stolz.« Selbst in ihren eigenen Ohren klang ihre Stimme unsicher.
»Nein, natürlich wirst du das nicht sein. Doch ich werde dich mir trotzdem vornehmen. Und ziemlich häufig sogar, denke ich.«
»Ich bin nicht verrückt, Erich. Doch ich werde es sein, wenn du deine ehelichen Rechte, wie du es nennst, geltend machst«, sagte sie so ruhig und vernünftig, wie sie konnte.
Erich trat näher. Er war höchstens fünfzehn Zentimeter größer, und trotzdem überragte er sie drohend, als er so dicht vor ihr stehen blieb, dass sie den Belag auf seinen Zähnen sehen und seinen schlechten Atem riechen konnte. Ann wagte es nicht, vor ihm zurückzuweichen oder zur anderen Seite des Raumes zu laufen. Diese Art von Verhalten würde einen Tyrannen wie ihn nur anstacheln. »Das interessiert mich nicht«, erwiderte er grimmig. »Und wenn es so kommt, garantiert es mir nur, dass ich dich in eine Anstalt stecken kann. Deine fünfzehntausend Pfund im Jahr werden mir ein angenehmes Leben ermöglichen.« Seine blassblauen Augen glänzten. »Und einem Mann, der in der Blüte seiner Jahre seine Frau verloren hat, wird niemand verübeln, dass er Trost sucht, wo er kann.«
Er tippte ihr mit der zusammengerollten Heiratslizenz an die Stirn, und sofort spürte Ann die Männer, die das Schriftstück vorbereitet hatten, den, der es zusammengerollt hatte, und ein schwaches, aber unangenehmes Echo von Erich selbst. Er war ... schwach. Das wusste sie natürlich. Doch er hatte auch ... Geheimnisse. Was für welche, konnte sie nicht sagen.
Nun wandte er sich zur Tür, trat auf den Gang hinaus und rief nach Polsham. Ann atmete auf, als er verschwand, aber dann erschreckte er sie erneut, indem er noch einmal zur Tür hereinschaute. »Glaub ja nicht, dass dein Freund, der Harrier, dir zu Hilfe kommen wird. In ein, zwei Tagen wird er ein für alle Mal aus dem Weg sein. Bis dahin brauchen wir nur nachts unsere Zimmer zu schützen und der Natur ihren Lauf zu lassen.«
Und damit ging er.
Ann klappte auf dem Fußboden zusammen, als wäre alle Luft aus ihrem Körper entwichen. In ihrem Entsetzen konnte sie nicht einmal weinen. Stattdessen blickte sie sich in ihrem Kinderzimmer um, als wäre es ihr gänzlich fremd. Erich hatte ein Gefängnis aus ihrem Zufluchtsort gemacht. Was sollte sie unternehmen? Was konnte sie unternehmen? Ihr Onkel stand nun auf der Seite ihres Peinigers, wenn er auch nur die besten Absichten für ihr Wohlergehen hatte. Ihn durfte sie nicht aufregen, so krank, wie er noch war. Die Dienstboten waren machtlos. Reverend Cobblesham war nie sehr helle oder couragiert gewesen. Er hatte nicht einmal die Schornsteinfeger davon abgehalten, sich Kinder aus dem Waisenhaus zu holen, die sie in die Kamine hinuntersteigen ließen und buchstäblich wie Sklaven hielten. Er würde sie, Ann van Helsing, keinesfalls gegen jemanden unterstützen, der innerhalb der nächsten Tage zu einem mächtigen Schirmherr seiner kleinen Kirche werden würde.
Und wer könnte ihr helfen? Nicht Mr. Sincai. Er hatte ihr deutlich genug zu verstehen gegeben, dass er eigene Sorgen hatte. Wahrscheinlich würde sie ihn ohnehin nie wiedersehen. Er hatte ihr geraten, nach London zu gehen. Ebenso gut hätte es auch Peking oder Katmandu sein können, so unmöglich, wie es ihr erschien. Ann wollte ihren eigenen Zufluchtsort zurück, und das
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