Blutrote Sehnsucht
fülliger. Sie waren in schlichte schwarze Umhänge gehüllt, deren Sitz jedoch verriet, dass sie aus teurem Stoff gefertigt waren. Beide trugen Handschuhe und Schleier, sodass Ann die Gesichter der Frauen nicht erkennen konnte. Aber sie wandten den Kopf und blickten dem vorbeifahrenden Wagen nach. Ann unterdrückte ein Erschaudern. Etwas Elektrisierendes ließ die Luft um diese Frauen herum vibrieren.
Offenbar gehörten auch weibliche Vampire zu Kilkennys Armee.
Und dann dämmerte es Ann ganz plötzlich. Kilkenny musste hier sein! Seine Armee versammelte sich schon, und Mr. Sincai war in Gefahr! Mit zitternder Hand strich sie sich über die Stirn. Sie musste ihn warnen. Aber wie? Sie würde keine Gelegenheit mehr dazu bekommen. Man würde sie einsperren, bis sie mit Van Helsing verheiratet werden konnte. Das Vibrieren in der Luft ließ nach, bemerkte sie, je weiter sich der Wagen von den beiden schwarz gekleideten Frauen entfernte.
Die halbe Stadt schien sich nach Maitlands zu begeben. Der Richter folgte dem Wagen auf seinem Pferd, die Menge hinter ihnen. Das aufgeregte Flüstern der Leute wurde zu einem immer bedrohlicheren Gemurmel und verteilte sich über die Straße. Steadly bildete den Abschluss des Zuges, als wollte er sichergehen, dass sie nicht entfliehen konnte. Noch nie war Ann der Weg so lang erschienen. Sie war kaum noch in der Lage, klar zu denken, ganz zu schweigen davon einzuschätzen, was nach ihrer Ankunft auf Maitlands geschehen würde.
Jennings, Polsham und Mrs. Simpson erwarteten die Prozession aus Wagen, Pferden und Menschen unter Maitlands Säulenvorbau. Die Dienstboten wirkten verängstigt, aber ob sie es Anns wegen oder ihrer selbst wegen waren, war schwer zu sagen.
»Steigen Sie aus!«, befahl Squire Fladgate.
Ann gehorchte mühsam und hielt sich dann an einem Wagenrad fest. Jennings kam herbeigeeilt, um das Pferd zu halten. Der Richter zeigte wortlos auf die Eingangstür. Ann schleppte sich die flachen Stufen hinauf und ging unter dem klassischen Ziergiebel hindurch in die große Eingangshalle.
»Ich muss Lord Brockweir sprechen«, hörte sie den Richter zu Polsham sagen.
»Ich fürchte, er ist indisponiert, Sir«, erwiderte Polsham ohne große Hoffnung.
»Wollen Sie mich zwingen, das Haus zu durchsuchen?«, fragte Fladgate drohend.
Polsham erhob keine weiteren Einwände und öffnete die Tür für jedermann, der Einlass suchte. Squire Fladgate zeigte auf Watkins, Mrs. Scrapple, Steadly und Reverend Cobblesham, der sich irgendwo unterwegs der Meute angeschlossen hatte. »Sie vier begleiten mich. Ich brauche Zeugen.« Dann bedeutete er Ann voranzugehen.
Polsham führte die kleine Prozession nach oben und öffnete die Tür zu Lord Brockweirs Zimmer. Mrs. Creevy kreischte auf, ließ ihr Strickzeug fallen und huschte zur Tür des Ankleidezimmers, die sie laut hinter sich ins Schloss fallen ließ.
Ann beobachtete, wie ihr Onkel sich offenbar sehr mühsam aufrappelte und gegen seine Kissen lehnte. »Was hat das zu bedeuten, Fladgate?« Ohne Zögern kam er Ann zu Hilfe, und sie liebte ihn dafür.
»Ihre Nichte, Sir, hat wieder einmal mit ihrer Hexerei Unruhe gestiftet.«
Onkel Thaddeus sah sie nicht einmal an, sondern durchbohrte den Richter buchstäblich mit seinem Blick. »Haben Sie sie angefasst? Sie müssten es besser wissen, Fladgate.«
»Wir können diese Gefahr in unserer Stadt nicht dulden, Brockweir. Ich hatte Sie angehalten, Ihre Nichte einzuschließen.«
»Bei Nacht schließe ich sie ein. Was wollen Sie mehr?« Ihr Onkel warf ihr einen Blick zu, der beruhigend wirken sollte.
»Ich werde anordnen, dass sie eingekerkert wird, bis ein passendes Heim für sie gefunden wird.«
»Du liebe Güte, Mann, sie ist doch nur ein zartes junges Mädchen! Was kann sie denn schon Schlimmes anrichten?« Ihr Onkel errötete vor Zorn.
Der Richter zog missbilligend die Augenbrauen zusammen und warf einen nervösen Blick auf Ann. »Schließen Sie sie ein, Brockweir! Entweder halten Sie sie hinter vergitterten Fenstern und verschlossenen Türen, oder ich lege sie in einer der Zellen im Dorf in Ketten.« Seine Wut ging mit ihm durch. »Sie wird nicht mehr herumvagabundieren, weder tagsüber noch bei Nacht. Haben Sie das verstanden, Brockweir? Und auch nur, bis ich mir überlegt habe, was ich ihretwegen unternehmen werde.«
»Sie werden sie mir nicht wegnehmen, solange ich lebe!« Onkel Thaddeus’ Gesicht war purpurrot geworden, und mühsam hievte er sich hoch und setzte sich auf den Rand
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